Herausforderung Asyl: Grenzen und Machbarkeiten

Die Europäische Union kann nicht alle Menschen aufnehmen, die weltweit auf der Flucht vor Gewalt oder Armut sind.

An europäischen Stammtischen gibt es derzeit zwei vorherrschende Themen: Griechenland und Asyl. Beide Themen werden hoch emotional diskutiert, für beide gibt es nicht die eine Lösung und beide haben das Potenzial, Europa an die Grenzen seiner Integrität zu führen.

Während zu Griechenland eine Krisensitzung die nächste jagt, besteht die Gefahr, dass sich die europäische Spitzenpolitik klammheimlich von der so bedeutsamen Asylfrage zurückzieht – und erst dann wieder mit ostentativ betroffenen Mienen erwachen wird, wenn die nächste Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer passiert.

Weltweit sind laut UNHCR derzeit 60 Millionen Menschen auf der Flucht, um Europa herum rund 20Millionen. 20 Millionen Einzelschicksale, mit denen sich Europa auseinandersetzen wird müssen. Seit unsere Spezies existiert, bewegen sich Menschen im Wesentlichen aus drei Gründen: Flucht, Familie oder Wirtschaft. Gänzlich verändert haben sich jedoch die Rahmenbedingungen durch die zunehmende Mobilität und die völlig neuartige Vernetzung des Wissens. Bei der Entscheidung für ein „Zielland“ spielt Information die zentrale Rolle.

Die Welt in der Hosentasche

Heute passt die Welt in jede Hosentasche – in Form eines Smartphones – und damit auch die Informationen über Staaten, über ihre Versorgungs- und Sozialniveaus, über die Geschwindigkeit und Wahrscheinlichkeit, Asyl zu erhalten, über bereits vorhandene Migranten-Gemeinschaften sowie die Möglichkeit, dort zu arbeiten. Es ist menschlich und in einer empathischen Annäherung für jeden nachvollziehbar, dass sich Menschen – wenn sie die Wahl haben – dorthin bewegen, wo sie sich die meisten Chancen erhoffen.

Im Mai war Österreich bei Asylanträgen pro Kopf Zielland Nummer eins, noch vor Schweden und Deutschland und deutlich vor Italien und Griechenland. Österreich hat eine lange Tradition der Hilfsbereitschaft. Seit 1945 wurde zwei Millionen Menschen Schutz gewährt. 2013 gab es in Österreich 17.500 Asylanträge, im Folgejahr eine Steigerung um 60 Prozent auf über 28.000 Anträge. Die vorliegenden Prognosen für 2015 gehen von über 80.000 Anträgen aus.

Was ein solcher sprunghafter Anstieg für die Ressourcen im Verfahrens- und Betreuungsbereich bedeutet, ergründet sich in Anwendung der Grundsätze der Logik. Hinter jedem Verfahren und jeder Betreuungsleistung steht personeller, monetärer und logistischer Einsatz, der – in Zeiten einer Ressourcenverknappung – innerhalb kürzester Zeit zumindest verdoppelt werden müsste.

Hier stoßen die Bund und Ländern zur Verfügung stehenden Finanz- und Personalplanungsinstrumente an die Grenzen ihrer Flexibilität. Täglich stellen derzeit in Österreich zwischen 250 und 390 Menschen einen Asylantrag. Würden all jene, für deren Betreuung die Bundesländer zuständig sind, auch tatsächlich in die dortigen Zuständigkeiten übernommen, müsste kein einziges Zelt stehen. Es bedarf aber eines vollständigen Bildes: Die Länder konnten die Zahl der Quartiere von 24.000 auf 41.000 innerhalb eines einzigen Jahres erhöhen. Auch dies war nur durch gewaltige Anstrengungen möglich.

Mit den stark steigenden Asylantragszahlen bleibt aber die Suche nach Quartieren für Bund und Länder eine permanente Herausforderung. Die Herausforderung ist auch deshalb so groß, weil innerhalb der EU die Verteilung äußerst unausgewogen ist. 2014 wurden in zehn Mitgliedstaaten 92 Prozent aller Asylanträge gestellt, damit in den restlichen 18 Mitgliedstaaten nur acht Prozent. Dass dies nicht als Best-Practice-Beispiel für Solidarität gelten kann, sondern eher als Antithese dazu, ist augenscheinlich. Dringend bedarf es deshalb einer Lösung, wie Europa in Zukunft mit schutzsuchenden Menschen umgeht.

Asyl ist nur der erste Schritt

Klar ist, dass die Lösung in Anbetracht der großen Zahl an hilfsbedürftigen Menschen nicht allein in Europa liegen kann. Die EU kann nicht alle Menschen aufnehmen, die weltweit auf der Flucht oder arm sind. Die Herausforderung liegt auch nur in einem ersten Schritt im Asylbereich. In einem gesamtgesellschaftlich mindestens ebenso bedeutsamen Schritt geht es auch um die Integration von Menschen in den Arbeitsmarkt und ein verantwortungsvolles Handeln in Richtung Sozial-, Gesundheits- und Pensionssysteme (in Österreich waren 2014 rund 75 Prozent der Asylwerber Männer und Großteils unter 35).

Jeder, der nicht nur Partikularinteressen vor Augen, sondern den Anspruch hat, das Bestmögliche für alle Menschen in Europa und Österreich zu erreichen, muss den Erhalt des sozialen Friedens als Handlungsmaxime bejahen. Die Lösung kann daher in vielen Fällen nur mit Europa gelingen, liegt jedoch nur in den wenigsten Fällen in Europa.

Wird den Richtigen geholfen?

In Anbetracht der Situation muss zudem die heikle Frage erlaubt sein, ob Europa tatsächlich jenen Menschen hilft, die am meisten unserer Unterstützung bedürfen oder jenen, die für die beschwerliche Reise stark genug sind und sich die Aufwendungen für Schlepper leisten können. Die Schlepperkosten nach Österreich belaufen sich auf bis zu 12.000 Euro.

Aus ethischer Perspektive stellt sich also die Frage, ob wir den „Richtigen“ helfen. Bedürfte es nicht eines Paradigmenwechsels – eines Systems, in dem den Schwächsten und besonders schutzbedürftigen Personen geholfen wird? Gerade diese schaffen es derzeit nicht nach Europa und sind auch nicht Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit.

Wenn mit dem Leid der Menschen im Mittelmeer argumentiert wird, dann sehen wir dabei gleichzeitig nicht, welches Leid jene Menschen erdulden, die in Kriegs- und Krisenregionen zurückgeblieben bzw. die auf ihrem Weg Opfer der Strapazen oder krimineller Handlungen geworden sind.

Daher gilt es, stärker im Umfeld von Krisenregionen aktiv zu werden. Ziel muss es sein, ein System zu etablieren, bei dem Menschen vor Ort die Möglichkeit haben, abklären zu lassen, ob sie tatsächlich in Europa Asyl erhalten werden oder nicht. Diese Personen können dann auf sicherem und legalem Weg nach Europa gebracht werden und erhalten – nach einer Verteilung anhand eines fairen Schlüssels – in unterschiedlichen europäischen Staaten Schutz.

Geschlossener auftreten!

Soweit der perspektivische Grundgedanke, der sich auch im Entwurf zur Europäischen Migrationsagenda wiederfindet.

Die gegenwärtige Situation in Österreich hat mit den pro Kopf europaweit höchsten Asylantragszahlen und dem permanenten Ringen um immer mehr Kapazitäten zu tun und weniger mit mangelnder Solidarität. Es gilt, das Bild zu vermeiden, dass der Föderalstaat mit dieser großen Herausforderung überfordert wäre. Tritt man nicht geschlossener auf und vermitteln die Akteure den Eindruck, diese Aufgabe nicht bewältigen zu können, ist dies ein Beitrag, den Zentrifugalkräften in unserer Gesellschaft Vorschub zu leisten.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2015)

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