Großbritannien: Warum die Lords Europa verstehen

Judges sit on benches as they wait for Britain's Queen Elizabeth to deliver her speech, at the House of Lords in the Palace of Westminster, during the State Opening of Parliament  in London
Judges sit on benches as they wait for Britain's Queen Elizabeth to deliver her speech, at the House of Lords in the Palace of Westminster, during the State Opening of Parliament in LondonREUTERS
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Eine Studie kommt zum Schluss, dass demokratisch nicht legitimierte Mitglieder des House of Lords mehr an der EU interessiert sind als Abgeordnete im Unterhaus.

Brüssel/Wien. „Ein substanzielles Paket an Änderungen einschließlich von Vertragsänderungen“ – das wünscht sich David Cameron von seinen europäischen Partnern, auf dass Großbritannien EU-Mitglied bleibe. Der Premierminister hat den Briten ein Referendum über den Verbleib ihres Landes in der EU versprochen, spätestens 2017 soll abgestimmt werden – und bis dahin will Cameron möglichst viele Zugeständnisse herausholen, etwa im Bereich der Personenfreizügigkeit, die in London mit der Ausbeutung des britischen Sozialsystems durch EU-Ausländer gleichgesetzt wird.

Ein beliebter Vorwurf der britischen EU-Gegner ist der angebliche Mangel der demokratischen Legitimierung der in Brüssel gefällten Entscheidungen durch nationale Parlamente. Anna Gostyńska von der britischen Ideenschmiede Centre for European Reform (CER) hat diesen Kritikpunkt unter die Lupe genommen und kommt in ihrer vor wenigen Wochen veröffentlichten Studie zum Schluss, dass die Parlamentarier in Westminster bereits heute die Europapolitik stärker beeinflussen könnten – wenn sie nur wollten.

Einschlägige Erfahrungen

Was das britische Parlament von anderen Hohen Häusern in Europa unterscheidet, ist das Oberhaus (House of Lords), dessen Mitglieder im Gegensatz zu den Abgeordneten im House of Commons nicht gewählt werden. In ihrer Studie kommt Gostyńska zur pikanten Schlussfolgerung, dass die demokratisch nicht legitimierten Lords und Peers an europäischen Angelegenheiten deutlich interessierter und insgesamt auch engagierter sind als die Mitglieder des Unterhauses. Demnach nimmt das Oberhaus die Möglichkeit der Vorab-Begutachtung von EU-Vorschriften häufiger in Anspruch als die gewählten Parlamentarier. Eine mögliche Erklärung sei die Tatsache, dass im britischen Oberhaus viele Mitglieder mit einschlägiger europapolitischer Erfahrung sitzen– beispielsweise die ehemalige Europaabgeordnete Baroness Joyce Quin und Ex-EU-Kommissar Lord Christopher Tugendhat.

Im House of Commons verhält es sich indes genau umgekehrt: Der für EU-Fragen zuständige Ausschuss (European Scrutiny Committee) hat 16 Mitglieder – und neun von ihnen gelten als ausgewiesene EU-Skeptiker. Hinzu kommt mangelhaftes Interesse: Im Beobachtungszeitraum 2014–2015 hat nicht einmal die Hälfte der Ausschussmitglieder an den relevanten Tagungen teilgenommen – drei von 16 Mitgliedern waren in dem Zeitraum sogar kein einziges Mal anwesend. Laut Gostyńska ist dies mit ein Grund dafür, dass Europafreunde den Ausschuss meiden und das Feld den EU-Gegnern überlassen.

Um diesem Trend entgegenzuwirken, schlägt die CER-Expertin unter anderem vor, die Mitglieder des Unterhauses mit den Lords zu vernetzen – und dem Oberhaus ein Mitspracherecht bei der Wahl des Ausschussvorsitzenden zu geben. Der britischen Regierung empfiehlt Gostyńska, mehr Zeit für europapolitische Debatten im Parlament einzuplanen und die Abgeordneten besser zu informieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2015)

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