Türkei greift erstmals massiv IS-Stellungen an

Türkische Militärfahrzeuge in der Nähe der syrischen Grenze
Türkische Militärfahrzeuge in der Nähe der syrischen Grenzeimago/Xinhua
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Lange Zeit hatte die Terrormiliz "Islamischer Staat" im türkisch-syrischen Grenzgebiet fast ungehindert agieren können. Damit scheint nach der türkischen Kehrtwende vorerst Schluss.

Nach monatelangem Zögern geht die Türkei mit massiven Angriffen gegen die Extremistengruppe Islamischer Staat (IS) in Syrien und im eigenen Land vor. Kampfjets griffen in der Nacht Stellungen des IS im Nachbarland an. Gleichzeitig nahm die Polizei am Freitag in einem landesweiten Großeinsatz hunderte Kurden, Anhänger von linksradikalen Gruppen und Islamisten fest.

Das Vorgehen gegen diese Gruppen werde fortgesetzt, kündigte Präsident Recep Tayyip Erdogan an. Die Türkei erlaubte zudem erstmals den USA, Luftangriffe in Syrien vom US-Stützpunkt Incirlik aus zu starten.

Drei F-16 Kampfjets nahmen nach türkischen Regierungsangaben am Morgen zwei IS-Stellungen und einen Versammlungsort unter Feuer. Dabei sei die Grenze zu Syrien nicht verletzt worden, hieß es. Damit will die Regierung offenbar einen offenen Kriegseintritt vermeiden. Grenznahe Anwohner der türkischen Provinz Kilis bestätigten die Angriffe.

Festnahmewellen im Inland

Auch im Inland gingen türkische Sicherheitskräfte massiv gegen vermutete Regierungsgegner vor. Es seien über 250 Menschen festgenommen worden, die verdächtigt würden, Angehörige des IS oder militanter Kurdengruppen zu sein, berichtete das Büro des Ministerpräsidenten. Nach Fernsehberichten sollen an dem Großeinsatz über 5000 Polizisten und zahlreiche Hubschrauber beteiligt gewesen sein. Allein in Istanbul durchsuchten Spezialkräfte demnach über 100 Wohnungen.

Ein weibliches Mitglied der marxistischen DHKP-C wurde nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu bei einer Schießerei mit Polizisten im Zuge der Razzien getötet. Sie starb den Angaben zufolge im Bezirk Bagcilar in Istanbul.

Der türkische Präsident Erdogan sprach von neuen Schritten, die angesichts der Lage im Norden Syriens ergriffen werden mussten. Die Türkei und die USA hätten sich verpflichtet, gemeinsam gegen den IS zu kämpfen. Die "terroristischen Gruppen" müssten ihre Waffen niederlegen oder die Konsequenzen tragen. "Die Luftangriffe diesen Morgen und die Maßnahmen gegen heimische terroristische Gruppen sind präventive Maßnahmen gegen Angriffe auf die Türkei von Innen oder von Außen", sagte ein Regierungsmitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters. Die bisher passive Verteidigungsstrategie werde in eine aktive geändert.

Der Schwenk in der bisherigen Politik gegenüber dem IS folgt nach einem dem IS zugeschriebenen Attentat im grenznahen Suruc am Montag, dem 32 Menschen zum Opfer fielen. Zudem lieferten sich am Donnerstag türkische Truppen mit IS-Milizionären über die Grenze hinweg ein Feuergefecht, bei dem ein Soldat und ein IS-Kämpfer getötet wurden.

Türkei hatte andere Prioritäten

Bereits am Donnerstagabend gestattete die Türkei den USA, Luftangriffe vom Stützpunkt Incirlik im Süden des Landes zu starten. Damit werden die Einsätze der von den US angeführten Koalition gegen den IS deutlich erleichtert, da sie bisher hauptsächlich von der Golfregion aus ins Kampfgebiet fliegen mussten. Bisher hatten die türkischen Behörden nur den Start unbemannter Drohnen für Einsätze über Syrien erlaubt. Bisher stritt die Türkei auch mit den USA und den anderen westlichen Verbündeten über die Prioritäten bei den Einsätzen in Syrien. Für die Türkei stand der Sturz des syrischen Präsidenten Bashar al Assad im Vordergrund. Die USA legen dagegen inzwischen den Fokus auf den Kampf gegen IS.

Zudem ist die Kurdenfrage in dem Konflikt von herausragender Bedeutung für die Regierung in Ankara. Befürchtet wird, dass die Erfolge der Kurden-Milizen in Syrien auch die Wünsche der kurdischen Minderheit in der Türkei nach mehr Autonomie oder einem eigenen Staat befeuern könnte. Umgekehrt wirft die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) der türkischen Regierung vor, den IS heimlich zu unterstützen. Als Vergeltung für den Anschlag in Suruc erschoss die PKK am Mittwoch zwei Polizisten.

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