ORF-Sommergespräche: "Als würden Schauspieler Politik machen"

Hans Bürger
Hans BürgerAPA/GEORG HOCHMUTH
  • Drucken

Hans Bürger moderiert ab Montag die „Sommergespräche“. Vorab sprach der Innenpolitik-Chef des ORF-TV über das neue Berufsbild des Politikers, den Twitter-„Wahnsinn“, den geplanten ORF-Newsroom und seine Liebe zum Job.

Die Presse: Sie moderieren erstmals die „Sommergespräche“. Müssen sich die Interviewpartner vor Hans Bürger fürchten?
Hans Bürger: Nein. Ich bin ja nicht bösartig. Bei mir herrscht vor jedem Gespräch – auch bei der „Pressestunde“ – entspannte Atmosphäre. Ich hasse Small Talk, also versuche ich, vorher mit den Politikern ein inhaltliches Gespräch zu führen, das über das Wetter hinausgeht. Das schätzen sie, dass sie als normale Menschen behandelt werden.

Auch als Journalist kann man nicht zu allen Parteien, allen Politikern Äquidistanz haben. Wie geht man damit um?
Die Distanz auf dem Bildschirm ist eine Notwendigkeit. Es gehört zu meinem Beruf, dass eigene Ansichten nicht durchdringen, wenn ich ein Interview führe. Aber ich habe eine Gesprächsbasis zu allen. Man kann doch off air ein ganz normales Gespräch mit einem Menschen führen – und zur Funktion wird dieser erst dann, wenn das Rotlicht angeht.

Werden die Gespräche live gesendet?
Ich wollte das unbedingt. Aber es geht nicht, weil wir erst nach Sonnenuntergang auf Sendung gehen – es wäre alles schwarz draußen vor den Fenstern des Ringturms. Deshalb wird um 19 Uhr aufgezeichnet und zeitversetzt gesendet. Aber das ist wie ein Liveinterview, weil wir alles eins zu eins senden.

Wer redet bei der Sendung inhaltlich mit?
Dreingeredet hat mir bei Interviews und Analysen im ORF noch nie jemand. Welche Fragen ich stelle, entscheide ich mit Unterstützung der recherchierenden Redaktion. Von TV-Direktorin Kathrin Zechner kam die Idee, dass wir diesmal die Teams der Parteichefs in eigenen Zuspielungen vorstellen.

Haben es Politiker heute schwerer als früher? Müssen sie etwas anderes können?
Ich bin genau 30 Jahre Journalist, seit 28 Jahren im ORF. Seither hat sich der Politikerberuf komplett verändert. Früher war nur eines wichtig: Sachkenntnis, Fachkenntnis und der richtige Umgang mit dem Wahlvolk. Heute muss ein Politiker vor allem schnell sein und sofort reagieren – auch wenn er zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch wenig Ahnung von den jeweils aktuellen Inhalten hat. Und er muss extrem flexibel sein, innerhalb von Minuten TV-, Radio- und Zeitungsinterviews geben, gleichzeitig veranlassen, dass das in den Sozialen Medien richtig kommt. Und das Dritte ist die Eloquenz. Wenn ein Politiker glaubhaft signalisiert, er habe die Sache im Griff, dann funktioniert es. Deshalb wirkt es heute oft so, als würden Schauspieler Politik machen.

Immer mehr Politiker twittern, oft aus noch laufenden Sitzungen.
Ich halte das für Wahnsinn. Wann denken sie eigentlich nach?

Gleichzeitig standen Politiker noch nie so unter Beobachtung wie heute.
Mir hat unlängst ein höchstrangiger Politiker gesagt: Wenn er aus dem Dienstauto steigt, sind zig Smartphones auf ihn gerichtet. Er weiß nicht, was die Leute tun. Fotografieren? Filmen? Stellen sie es auf Facebook? Ins Internet? Ein Politiker ist heute dazu verurteilt, ohne Unterbrechung 24 Stunden am Tag alles richtig zu machen – und das geht nicht.

Eine weitere Plage unserer Zeit ist der Zwang, ständig erreichbar zu sein.
Ich wollte dazu schon einmal ein Buch schreiben . . ., bin dann aber nicht dazu gekommen. Es stimmt ja schon lang nicht mehr, dass es da nur um die „bösen“ Arbeitgeber geht, die ständige Erreichbarkeit fordern. Es geht auch um den Wunsch, permanent wichtig zu sein. Wenn das Smartphone nicht klingelt oder man eine Zeit lang seiner Community nicht mitteilen kann, wo man gerade ist und was man gerade tut, dann fühlt man sich schlecht. Oder unbefriedigt.

Welche Auswirkungen haben die sozialen Medien auf die journalistische Arbeit?
Einerseits werden sie zur Konkurrenz: Livefernsehen ist unsere größte Stärke, heute kann aber jeder ein Ereignis filmen und ins Internet stellen. Gleichzeitig ist es ein enormer Druck. Ich bin Journalist und Führungskraft mit 22 Mitarbeitern. Das allein würde schon reichen. Wenn ich zwischen Sitzungen und Anrufen auch Twitter, E-Mail, Facebook, Instagram und Periscope im Auge behalten muss, ist das nicht zu schaffen. Was untergeht, sind die Inhalte. Wann soll man da noch einen Hintergrundartikel lesen?

Der ORF baut gerade an einem neuen Newsroom. Dagegen gibt es intern einigen Widerstand. Wie stehen Sie dazu?
Ich sehe das sehr positiv, weil ich glaube, dass wir es uns gar nicht mehr leisten können, nicht multimedial zu arbeiten. Die Befürchtung, dass dann alle alles machen müssen – der TV-Redakteur auch die Radio- und Online-Geschichte, dazu Tweets und Facebook-Einträge –, die gibt es. Ich verstehe das. Aber so wird das nicht geplant, so wird es auch nicht sein. Keiner kann alle Medien gleichzeitig bedienen. Und daher wird auch die Meinungsvielfalt erhalten bleiben.

2016 wird ein neuer ORF-Chef bestellt. Würden Sie im neuen Team Chefredakteur oder Info-Direktor werden wollen?
Ich finde den Job als Innenpolitik-Chef im ORF-TV sehr spannend, weil das die letzte Ebene ist, wo man bei Großereignissen noch selbst am Bildschirm mitspielen kann. Als Chefredakteur geht das kaum, auf der Direktorenebene sowieso nicht. Das heißt nicht, dass ich das auf keinen Fall machen würde. Aber ich würde erst dann ernsthaft darüber nachdenken, wenn ich tatsächlich gefragt werde. Wahrscheinlich gibt es im ORF wenige, die mit dem Job, den sie haben, zu hundert Prozent zufrieden sind – ich würde ihn aber am liebsten weitermachen.

ZUR PERSON

Hans Bürger (* 1962) studierte Volkswirtschaftslehre in Linz und begann seine Laufbahn 1985 als Wirtschaftsjournalist bei der OÖ-„Krone“. 1987 wechselte er in das OÖ-Landesstudio des ORF, 1993 dann in die Redaktion der „Zeit im Bild“ nach Wien. 1997 ging Bürger für acht Monate als ORF-Korrespondent nach Brüssel. 1998 bis 2001 war er stv. Sendungsverantwortlicher der „ZiB“, seit 2002 leitet er das „ZiB“-Ressort Inland/EU. Hans Bürger ist mit „Presse“-CvD Friederike Leibl verheiratet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Sommergespräche ORF mitterlehner
Medien

ORF-Sommergespräche: Keine Top-Quote für Mitterlehner

747.000 sahen im Schnitt das gestrige TV-Interview mit ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner. Die Sommergespräche mit Strache und Stronach hatten deutlich mehr Zuschauer.
Sommergespraech FPOe
Medien

ORF-Sommergespräche: Strache sorgt für neuen Rekord

992.000 Zuseher verfolgten das ORF-Interview mit dem FPÖ-Chef. Der Tagessieg ging aber an Elizabeth T. Spiras "Liebesg'schichten und Heiratssachen".
Strache und Bürger
Innenpolitik

Strache: "Die Bundeshymne singe ich wie der Gabalier"

Nachlese Der FPÖ-Chef steht dem Klimawandel skeptisch gegenüber, will ein "Europa der Vaterländer" und als Wiener Bürgermeister die gleichgeschlechtlichen Ampelpärchen abschaffen.
Werner Faymann
Politik

Politiker-Bingo: Parteichefs auf den Mund geschaut

Es gibt Sätze, die Politiker nicht oft genug sagen können - so scheint es. Um diese These bei den ORF-"Sommergesprächen" zu prüfen, hat die "Presse" ein Bingo-Spiel angelegt. Zum Ausdrucken und Mitmachen.
Politik

Glawischnig: "Ich bekämpfe kein Kleidungsstück"

Nachlese Die Chefin der Grünen kritisierte im ORF-"Sommergespräch" die "Hitzestarre" der Regierung, hatte "null Toleranz" für Hassprediger, dafür Geduld mit Rauchern.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.