Analyse: Warum Erdoğan die PKK angreift

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Die Türkei will eine „IS-freie Schutzzone“ in Syrien einrichten. Zugleich verstärkt sie die Luftangriffe auf die kurdische PKK, die den IS bisher erfolgreich bekämpft hat. Was steckt hinter Ankaras Strategie?

Wien. Es begann als Militärschlag gegen die Extremisten des sogenannten Islamischen Staates (IS). Doch mittlerweile scheint nicht mehr der IS, sondern vor allem die kurdische Untergrundorganisation PKK im Visier der türkischen Luftangriffe zu stehen. Am Montag meldeten dann auch die mit der PKK verbündeten syrischen „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG), von türkischen Panzern beschossen worden zu sein. Ankara dementierte.

Montagabend sagte Regierungschef Ahmet Davutoglu im Fernsehsender ATV, dass die Militäroffensive gegen die PKK weitergehe, bis diese ihre Waffen niederlegt. Am Dienstag, wird die Türkei mit ihren Nato-Partnern über den Konflikt beraten, in dem nun immer mehr Fronten aufbrechen. Hier vier Fragen und vier Antworten zu Ankaras Militärschlägen gegen PKK und IS.

1. Wer sind die PKK und die mit ihr verbündeten Volksverteidigungseinheiten (YPG)?

Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) kämpfte ursprünglich für einen sozialistischen Kurdenstaat. Ihr jahrzehntelanger Untergrundkrieg gegen den türkischen Staat kostete 40.000 Menschen das Leben. Seit 2013 galt jedoch ein Waffenstillstand: Ankara verhandelte mit dem in der Türkei inhaftierten PKK-Chef, Abdullah Öcalan, über eine Lösung der Kurdenfrage. Als der Islamische Staat (IS) im August 2014 über Nordiraks Kurdenregion und über die Jesiden herfiel, standen die kampferprobten PKK-Einheiten in vorderster Front, um den Angriff abzuwehren. In den USA und Europa gilt die PKK aber nach wie vor offiziell als Terrororganisation.

In Syriens Kurdengebieten regiert eine PKK-Schwesterpartei, die ebenfalls Abdullah Öcalan als ihren ideologischen Führer ansieht. Die bewaffneten Einheiten dieser de facto autonomen syrischen Kurdenregion sind die Volksverteidigungseinheiten (YPG), die mit der PKK verbündet sind. Die YPG retteten im August 2014 Zigtausend Jesiden aus dem Sinjar-Gebirge, indem sie aus Syrien einen Korridor zu ihnen freikämpften. Und die YPG verteidigten monatelang die Stadt Kobane gegen die IS-Extremisten.

2. Warum hat die türkische Regierung jetzt ihre Angriffe gestartet?

Vergangene Woche wurde in der türkischen Stadt Suruç ein Attentat auf linke Aktivisten verübt, die den syrischen Kurden im benachbarten Kobane auf der anderen Seite der Grenze helfen wollten. Das Attentat wurde offenbar vom IS verübt. Kurdische Gruppen verstärkten nun ihre Kritik an der türkischen Regierung, diese dulde die Aktionen des IS. Und die PKK tötete aus Rache zwei türkische Polizisten, denen sie vorwarf, mit dem IS kooperiert zu haben. Die türkische Regierung nahm beide Anschläge zum Anlass, um mit Verhaftungswellen und Luftangriffen sowohl gegen den IS als auch gegen die PKK vorzugehen. Ankara hatte tatsächlich lang dabei zugesehen, wie sich der IS in der Türkei weitgehend ungehindert ausbreitete. Das Attentat in Suruç mit 32 Opfern war möglicherweise ein Weckruf, etwas dagegen zu unternehmen. Kritiker werfen Präsident Recep Tayyip Erdoğan jedoch vor, die Antiterroraktion weniger für den Kampf gegen den IS, sondern für eine Abrechnung mit der PKK zu nutzen.

3. Was würde die Einrichtung einer Schutzzone in Nordsyrien bedeuten?

Die „New York Times“ und die „Washington Post“ berichteten am Montag, dass sich die Türkei und die USA auf die Errichtung einer „IS-freien Sicherheitszone“ im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei geeinigt hätten. Details müssten noch vereinbart werden. Der Streifen soll 100 Kilometer lang sein und viele Flüchtlinge aufnehmen.

Entscheidend wird sein, wo genau diese Zone verlaufen wird und ob deren Errichtung mit dem Einsatz türkischer Bodentruppen einhergeht. Ein großer Teil des nordsyrischen Grenzgebiets ist nämlich in der Hand der mit der PKK verbündeten Volksverteidigungseinheiten. Syriens Kurden haben hier die quasiautonomen Kantone Efrin, Kobane und Cizire eingerichtet. Ankara hat aber bereits damit gedroht, kein selbstständiges Kurdengebiet in Syrien zu akzeptieren. Das war auch der Grund dafür, warum die Türkei so lang keine Hilfe zu den Verteidigern Kobanes durchgelassen hat. Syriens Kurden fürchten, die türkische Idee einer „Schutzzone“ solle nur dazu dienen, die Selbstverwaltung in den syrischen Kurdengebieten zu zerschlagen. Sollten dabei türkische Soldaten in Territorien einrücken, die jetzt von den YPG kontrolliert werden, würde das wohl zu Gefechten führen. Das wäre dann ein Rückschlag im Kampf gegen den Islamischen Staat. Denn die YPG hatten zuletzt mit US-Luftunterstützung den IS an vielen Fronten in Syrien zurückgedrängt.

4. Was bedeutet die Eskalation für die innenpolitische Entwicklung in der Türkei?

Sollte die Auseinandersetzung zwischen den türkischen Streitkräften und der PKK weiter eskalieren, wäre das ein schwerer Rückschlag für die Lösung der Kurdenfrage in der Türkei. Dabei hatten die Voraussetzungen für eine Lösung zuletzt nicht schlecht ausgesehen: Die PKK ist mittlerweile von ihrer Maximalforderung nach einem kurdischen Nationalstaat abgerückt und fordert nun eine Art Selbstverwaltung. Zudem sitzt seit der jüngsten Wahl mit der linken, prokurdischen Partei HDP eine direkte politische Ansprechpartnerin für die Kurdenfrage im türkischen Parlament. Der Einzug der HDP in die Volksvertretung hat aber auch verhindert, dass Präsident Erdoğans Partei eine absolute Mehrheit erhält. Die Opposition wirft Erdoğan vor, er heize den Konflikt mit der PKK an, um dann bei von ihm geplanten Neuwahlen wieder mehr Stimmen zu erhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2015)

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