Der scheidende EU-Mandatar im Gespräch mit der "Presse" über seine Nicht-Kandidatur: "Es wäre nicht das erste Mal, dass man mich in guten Zeiten unerträglich findet und in schlechten zu mir kommt."
Die Presse: Neuen Prognosen zufolge holen die Grünen bei der EU-Wahl nur noch weniger als zehn Prozent. Würde es mit Ihnen auf der Liste besser gehen?
Johannes Voggenhuber: Ich glaube, es gibt niemanden, der das bestreitet. Nach all den Wahlen, bei denen wir zwischen 30 und 50 Prozent zugenommen haben, hätte es keinen Grund gegeben, nicht etwa 16 Prozent zu holen, also diese Erfolgsgeschichte fortzusetzen und ein drittes Mandat zu holen. Noch dazu in einer Situation, in der grüne Ideen wichtiger sind denn je und in der möglicherweise 30 oder 40 Prozent der Österreicher nicht wissen, was sie wählen sollen – europäische Österreicher.
Sollte es tatsächlich nur noch ein Mandat sein: An wen werden die Grünen es verlieren?
Voggenhuber: Ich will mich nicht in Prognosen ergehen. Ich kann nur sagen: Statt drei eins – das berührt mich bitter. Und seit Monaten erhalte ich tausende Mails von Menschen, die alle sagen: Wir sind politische Menschen, wissen aber nicht, wen wir wählen sollen, wollen auch nicht zu Hause bleiben. Sagen Sie uns, was wir wählen sollen.
Und was sagen Sie ihnen?
Voggenhuber: Ich sage ihnen das nicht, denn das ist nicht meine Aufgabe. Dazu müsste ich selbst kandidieren. Aber da gibt es sehr viele, die uns zu einem dritten Mandat verholfen hätten und ganz sicher nicht unkritisch sind. Urbane, Junge und so weiter.
Sie fassen sich kein Herz und empfehlen eine Stimme für die Grünen?
Voggenhuber: Nein. Nüchtern betrachtet ist eine Person in der Politik nicht ausschlaggebend. Dass mir die Grünen Unrecht getan haben, es Mobbing gegeben hat, ist nicht sehr relevant angesichts dessen, dass ein Fehler passiert ist. Um mit Talleyrand zu sprechen: Das war kein Verbrechen, es war viel schlimmer – ein Fehler. Das sagte er auf die Frage, ob es falsch war, Ludwig XVI. den Kopf abzuschlagen. Ohne vergleichen zu wollen: Es war ein schwerer Fehler.
Wie beurteilen Sie den Wahlkampf?
Voggenhuber: Die Auseinandersetzung hat leider mit Europa sehr wenig zu tun und viel mit der Dunstglocke nationaler Befindlichkeiten, den Umtrieben der „Kronen Zeitung“ und dem Schielen nach den EU-skeptischen Stimmungen. Fragen wie die der Finanzkrise und des sozialen Europas drängen geradezu. Doch da ist nur niemand imstande zu sagen, was das soziale Europa ist.
Und die Grünen?
Voggenhuber: Eine kritische Anmerkung kann ich mir nicht verkneifen, wenn Frau Lunacek in der ORF-„Pressestunde“ fordert, die EU müsse endlich Vorgaben machen für Mindeststandards, bei Mindestlöhnen, bei der Steuer. Ich darf daran erinnern, dass die EU keine Kompetenzen dazu hat und dass es ihr Abgeordneter war, der zehn Jahre dafür gekämpft hat, dass diese Kompetenzen verankert werden. Was mir bei den sozialen Rechten, glaube ich, unter anderem gelungen ist. Immerhin bemühen sich die Grünen, Europa im Wahlkampf zu thematisieren, siehe zum Beispiel die EU-Asylrichtlinie. Aber vielleicht passiert das nicht sichtbar genug.
Müsste die Partei, von der Grünen-Chefin Glawischnig bis zur Spitzenkandidatin Lunacek, Konsequenzen ziehen, falls es tatsächlich nur ein Mandat wird?
Voggenhuber: Im Wahlkampf ist wohl nicht die Stunde, darüber zu reden, obwohl ich dazu eine sehr klare Überzeugung habe.
Können Sie sich vorstellen, dass die Partei Sie nach der Wahl zu Hilfe ruft, sollte es nur ein Mandat sein?
Voggenhuber: Es wäre nicht das erste Mal, dass man mich in guten Zeiten unerträglich findet und in schlechten zu mir kommt. Ich lese, man will 13 Prozent. Wobei ich 16 Prozent als Wahlziel hatte und denke, ein Konkurrent (Lunacek, Anm.) sollte mehr anstreben, aber gut. Das dritte Mandat wurde, wie es scheint, verspielt. Es wäre eine Chance gewesen, sich nach dem Niedergang bei der Nationalratswahl zu reaktivieren.
Was kommt für Sie nach dem EU-Parlament?
Voggenhuber: Ich überlege, prüfe Angebote – Aufgaben, nicht Ämter. Vielleicht ein Buch darüber, wie es in Europa wirklich läuft.
Bundessprecherin Eva Glawischnig nimmt die Kritik Voggenhubers gelassen: "Kritik ist wichtig und zulässig. Das tut nicht weh. Wir nehmen sie ernst", erklärte sie am Mittwoch. Wichtig sei, die Idee der Sozialunion durchzusetzen. Voggenhubers Entscheidung sei eine "persönliche". Sie stellte jedoch fest: "Es ist schwer für die Spitzenkandidatin, das neu zu machen und offenbar ist es auch schwer, sich von Platz eins zurückzuziehen."
NEUE PROGNOSE
■Gemäß einer Untersuchung von Wissenschaftlern des Trinity College in Dublin und der London School of Economics holt die SPÖ bei der EU-Wahl am 7. Juni sechs Mandate (–1 gegenüber 2004), die ÖVP holt fünf (–1) und die FPÖ drei Mandate (+2). Je ein Mandat holen der Prognose zufolge die Grünen (–1), das BZÖ (+1) und die Liste Hans-Peter Martin (–1).
■In Prozent käme die SPÖ auf 30, die ÖVP auf 27, die FPÖ auf 19, die Grünen auf 9,4, das BZÖ auf 8,7 und Martin auf 6,1. Erstellt wurde die Prognose im Auftrag der Beratungsagentur Burson-Marsteller.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2009)