Flüchtlingsstrom: Grenze zu Ungarn wird dichter

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Über Ungarn verläuft die Hauptroute für von Schleppern gelotste Asylwerber. Die Lage ist so prekär, dass dort künftig bewaffnete Polizisten aus Wien Kontrollen durchführen.

Wien. Das Innenressort und seine Ministerin haben ein Problem. Einerseits trägt das Haus von Johanna Mikl-Leitner die Hauptverantwortung für die Bewältigung des Flüchtlingsstroms aus den Krisenregionen an den Rändern Europas. Andererseits ist man dabei von zum Teil unwilligen Landeshauptleuten und Bürgermeistern abhängig. Die – eigentlich logische – Konsequenz lautet: Ressort und Ministerin konzentrieren sich nun auf Maßnahmen, die sie in Eigenverantwortung und ohne den Segen lokaler oder regionaler Politiker umsetzen können. Die Rede ist von klassischer Polizeiarbeit. Das ausgegebene Ziel lautet, es jenen kriminellen Schleppern, die Kriegsflüchtlinge derzeit zu Tausenden ins Land bringen, künftig möglichst schwer zu machen.

Die Probleme bei der Unterbringung und bei der Durchführung der für den Verwaltungsapparat viel zu vielen Verfahren löst das zwar nicht. Mittelfristig, so die Hoffnung, könnten die Maßnahmen bei erfolgreicher Umsetzung jedoch zumindest zu einer Entlastung führen. Außerdem soll der nun vorgestellte Aktionsplan zumindest ein klein wenig jenes Drucks aus der Debatte nehmen, der sich nicht erst seit den FPÖ-Erfolgen bei den Landtagswahlen im Burgenland und der Steiermark Ende Mai aufgebaut hat. Die Bürger erwarten sich Antworten. Kein Zufall also, dass das Innenministerium seine Version der Lösung mithilfe der zwei größten Medien des Landes, ORF und „Kronen Zeitung“, zuerst unters Volk brachte.

Im Zentrum des Interesses steht Ungarn. Durch das östliche Nachbarland führen die beliebtesten Transitrouten international agierender Schlepperorganisationen. Schon jetzt unterstützen österreichische Polizisten ihre Kollegen vor Ort bei der Sicherung der EU-Außengrenze zu Serbien. Demnächst soll die Kooperation viel weiter gehen.

Die Verhandlungen laufen. Bald schon werden Beamte der Wiener Exekutive in Uniform und mit Dienstwaffe am Gürtel alle Züge zwischen Ungarn und Österreich auf ungarischem Staatsgebiet kontrollieren. Unter Aufsicht der ausländischen Behörden, aber mit exekutiven Befugnissen. Auch neuralgische Bahnhöfe stehen im Visier.

Hintergrund ist der Trend, dass die Schlepper ihre „Kunden“ aus Gründen der eigenen Sicherheit möglichst früh sich selbst überlassen. Manchmal mitten auf der Autobahn, sehr häufig auch auf Bahnhöfen. „In Zügen aus Ungarn befinden sich derzeit im Schnitt zwischen 30 und 100 illegal Reisende“, sagt Gerald Tatzgern, zuständiger Abteilungsleiter im Bundeskriminalamt. Damit sein Team künftig über mehr Ressourcen zur Ausforschung der kriminellen Strukturen dahinter verfügt, bekommt er nun Verstärkung in Form von 32 zusätzlichen Ermittlern.

Lob für Kooperation der Ungarn

Dabei rechnet Tatzgern schon jetzt damit, dass die Kontrollen in den Zügen den Weg zu Fuß oder mit dem Auto wieder attraktiver machen. Deshalb soll auch dort der Druck auf Schlepper erhöht werden. Straßenkontrollen im grenznahen Raum sowie der Einsatz von Spürhunden und Nachtsichtgeräten dürften die Grenze für illegal Einreisende jedenfalls dichter machen.

Im Ministerium lobt man einerseits die Kooperationsbereitschaft der Ungarn. Die Exekutive dort sei bemüht, aber eben an der Grenze ihrer eigenen Kapazität. Dass Österreich sozusagen aushelfe, sei in einem massiven Eigeninteresse begründet. Dies liege auch daran, dass viele Flüchtlinge, die in Ungarn aufgegriffen werden, aus den dortigen Betreuungsstellen verschwinden und in Österreich (oder Deutschland) wieder auftauchen. Zwar muss Ungarn laut EU-Recht diese Personen wieder zurücknehmen, allerdings kann das wegen der Vielzahl an Fällen mehrere Wochen dauern. In der derzeitigen Situation eine kleine Ewigkeit.

Aufgrund der enormen Nachfrage ist das illegale Einschmuggeln von Kriegsflüchtlingen in die EU zu einem riesigen Markt mit der Not der Betroffenen geworden. Gestaffelt nach Entfernung werden – das ergaben Befragungen – unterschiedliche Preise verlangt. Die volle Strecke Syrien–Österreich kostet zwischen 8000 und 12.000 Euro. Ab der Türkei sind Schlepperdienste zwischen 6000 und 10.000 Euro zu kaufen. Ab Griechenland hat die Reise nach Wien „nur“ noch einen Marktwert von 3000 bis 5000 Euro. Am günstigsten ist es ab Serbien: Zwischen 700 und 1200 Euro gibt es ein Ticket nach Österreich. Ohne Gewähr, Festnahme nicht ausgeschlossen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2015)

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