CERN-Ausstieg: Arbeitsplätze und Projekte gefährdet

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ARCHIVBILD: CERN TEILCHENBESCHLEUNIGER(c) APA (Martial Trezzini/keystone)
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Der Leiter des Kernforschungs-Zentrums glaubt noch nicht an den Ausstieg Österreichs. Er kündigt aber an, dass es gegebenenfalls keine Jobs für Österreicher und keine Aufträge an heimische Firmen mehr geben wird.

Ein Ausstieg Österreichs aus dem Europäischen Kernforschungszentrums CERN würde die Verwirklichung des Therapie- und Forschungszentrums "MedAustron" in Wiener Neustadt (NÖ) gefährden. Das erklärte der Generaldirektor des CERN, Rolf-Dieter Heuer, vor Journalisten in Genf. Bisher gingen die Betreiber von MedAustron davon aus, dass die für das geplante Zentrum nötigen Experten am CERN ausgebildet werden, so CERN-Projektleiter von MedAustron, Michael Benedikt.

Mit MedAustron soll in Wiener Neustadt eine Beschleunigeranlage entstehen, mit der einerseits rund 1200 Krebspatienten pro Jahr mit bisher ungeahnter Präzision behandelt und andererseits medizinische und physikalische Forschung betrieben werden sollen. Der Betrieb soll nach bisheriger Planung 2012 starten.

Know-how vom CERN benötigt

Das Know-how des CERN sei für die Umsetzung von MedAustron nötig, Alternativen gebe es praktisch nicht, so Benedikt. Der CERN-Chef betonte, dass man bis vor wenigen Tagen davon ausgegangen sei, dass Österreich Mitglied beim Kernforschungszentrum bleibt. Nach Gesprächen mit den entscheidenden Ratsmitgliedern des CERN kann sich Heuer nicht vorstellen, das MedAustron nach einem CERN-Austieg Österreichs so einfach weitergeführt wird.

Heuer mahnte weiters, dass es nach einem Ausstieg auch keine Jobs für Österreicher am CERN mehr geben werde. Nicht zuletzt kämen auch Aufträge an österreichische Unternehmen nicht mehr in Frage. Davon betroffen sei etwa die UNIQA, bei der derzeit die CERN-Mitarbeiter krankenversichert seien. Der Umsatz betrage rund 40 Millionen Franken (26,6 Mio. Euro) pro Jahr. Bei einer demnächst fälligen Neuausschreibung käme die österreichische Versicherung sicher nicht in Betracht.

Vier neue Mitgliedskandidaten

Um den CERN selbst macht sich Heuer im Falles des österreichischen Ausstiegs wenig Sorgen. Er glaubt nicht, dass das österreichische Beispiel Schule machen könnte. Vielmehr gebe es vier neue Mitgliedskandidaten, namentlich Serbien, die Türkei, Zypern und Israel.

Heuer betonte, dass er nach wie vor optimistisch sei, mit Österreich auch in Zukunft "stark verbunden" zu bleiben. An eine Partnerschaft ohne Mitgliedschaft glaubt er allerdings nicht. So etwas gebe es nur mit Ländern, die in der Zukunft auch Mitglied werden wollten. In der kommenden Woche würden die Gespräche fortgesetzt, Experten des Wissenschaftsministeriums sollen nach Genf kommen. Die Ausstiegspläne seien seiner Meinung nach "kurzfristig gedacht". Er bemängelte dabei vor allem die Tatsache, dass er von den Ausstiegswünschen erst über die Medien erfahren habe.

Österreichische Mitarbeiter "geschockt"

Die österreichischen Mitarbeiter am Europäischen Kernforschungszentrum (CERN) machen sich Sorgen um ihre Jobs. "Zuerst waren es nur Gerüchte, als wir dann über die Medien vom Ausstieg Österreichs aus dem CERN hörten, waren wir geschockt", sagte Physiker Dietrich Liko.

Arbeitsverträge am CERN würden nur an Wissenschafter aus Mitgliedsländern vergeben, betonte auch CERN-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer. Zeitverträge würden für Österreicher nach einem Ausstieg sicher nicht verlängert. Auch Doktorate würden wohl kaum mehr am CERN für Österreicher möglich sein, sagte CERN-Forscher Martin Aleksa.

Dabei habe Österreich in den vergangenen Jahren am CERN gerade mit dem Doktoranden-Programm Maßstäbe gesetzt, das Land habe mit seinen Jungwissenschaftern höchste Akzeptanzraten. Die Aktivitäten würden mittlerweile von anderen Ländern, darunter Deutschland, kopiert. Bei den Jobs am CERN sei Österreich daher auch überproportional vertreten. So seien derzeit 185 Österreicher am Kernforschungszentrum tätig, davon 91 bei österreichischen, 38 bei nicht-österreichischen Institutionen und 56 beim CERN selbst angestellt. Das CERN beschäftigt fix 2300 Mitarbeiter und hat 9500 sogenannte User.

"Horrende Verschwendung von Steuergeldern"

Für Claudia-Elisabeth Wulz vom Institut für Hochenergiephysik (HEPHY) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) wäre ein Ausstieg aus dem CERN nicht zuletzt eine "horrende Verschwendung von Steuergeldern". So habe man sich in den vergangenen Jahren finanziell am Aufbau des weltweit einzigartigen Large Hadron Colliders (LHC) beteiligt. Nun, da es demnächst an die Verwertung der Daten und der wissenschaftlichen Lorbeeren gehe, wäre man nicht mehr dabei.

Generell sehen die Wissenschafter die CERN-Mitgliedschaft nicht nur als wissenschaftliche Investition. So habe es in den Jahren 1997 bis 2007 Rückflüsse an österreichische Einrichtungen und Firmen in der Höhe von 70 Prozent des Beitrags gegeben. "Nachdem es sich um Hochtechnologie handelt, kann man von einem Multiplikationsfaktor von drei ausgehen", betonte CERN-Mitarbeiter Michael Doser. Allerdings, so räumte Doser ein, würden diese Vorteile nicht direkt dem Wissenschaftsressort zu Buche schlagen. Man sollte aber über den "eigenen Topfrand denken".

(Ag.)

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