„Hol dir endlich ein paar Hauben“

Küchenchef Paul Ivic hat endlich seine Haube bekommen. Aus diesem Anlass haben wir sein Porträt von 2015 aus dem Archiv geholt. Ein Besessener kommt zur Ruhe.

Manchmal wollte Paul Ivic alles hinschmeißen. Nicht, weil er weniger arbeiten wollte („80-Stunden-Woche? Habe ich gar nicht bemerkt“), sondern weil ihm der Führungsstil so manchen Küchenchefs arg gegen den Strich ging: „Früher hat man die jungen Leute gebrochen. Das war falsch. Nur wer Sicherheit hat, kann sich entfalten“, ist der Tiroler mit kroatischen Wurzeln überzeugt.

Heute, drei Hauben und einen „Michelin“-Stern später, ist der 36-Jährige Chef de Cuisine im Wiener Innenstadt-Restaurant Tian. Einem vegetarischen Restaurant, wohlgemerkt. Nie zuvor wurden einem solchen in Österreich Hauben verliehen.

In seinen Wanderjahren kam er viel herum. Österreich, die Schweiz, Deutschland. Er begriff, dass Kochen viel mit Zahlen zu tun hat. Wie führe ich Preisverhandlungen, budgetiere das Restaurant, rechne Kennzahlen für Essen und Trinken aus. In seiner Freizeit büffelte er Fredmund-Malik-Wälzer.

El loco alemán

Für ein Luxushotel auf Gran Canaria wurde er mit der Zusage geködert, dort 20 deutsche und zwei spanische Köche unter sich zu haben. Es waren dann zwei deutsche und 20 spanische Köche: „Die haben mir gesagt, solange ich kein Spanisch kann, brauche ich ihnen gar nichts zu erzählen.“

In drei Wochen spreche ich eure Sprache, antwortete Ivic. Und dass es von Vorteil wäre, schon jetzt mit ihm zu kooperieren.

Er hielt Wort. Drei Wochen später konnte er Spanisch und krempelte die Küche um. „Sie nannten mich ,El loco alemán‘, den verrückten Deutschen“ (dass er Österreicher ist, tat dort nichts zur Sache).

Ivic arbeitete Tag und Nacht. Auch zurück in Österreich, diesmal in Salzburg. Der Preis war ein Burn-out, das ihn mit gerade einmal 24 Jahren niederstreckte. „Sie haben gesagt, ich werde für mindestens zwei Jahre ausfallen. Sie haben mir Antidepressiva verschrieben. Aber ich dachte mir, ich habe mich da selbst hineinmanövriert, ich hole mich da auch selbst wieder heraus.“

Nur sieben Monate später trat er seinen nächsten Job an. Diesmal in einem deutschen Nobelressort: „So schlecht gegessen wie beim Vorstellungsgespräch habe ich überhaupt noch nie.“ Das Ressort war erst zwölf Monate in Betrieb, hatte allerdings schon vier Küchenchefs verheizt.

Selbst gemachter Druck

Seine Leute erzählten ihm, dass ihnen noch jeder seiner Vorgänger das Blaue vom Himmel versprochen hatte: „Das habe ich mir verkniffen. Ich habe ihnen nur gesagt, dass ich nicht zufrieden war mit dem, was ich hier gegessen habe. Und dass ich nur mit denen weiterarbeiten will, die mit mir an einem Strang ziehen.“

Wieder folgten 18-Stunden-Tage, wieder „dieser Druck, den nur ich mir selbst gemacht habe“.

Ein Schlüsselerlebnis war der Rat eines Headhunters, sich endlich ein paar Hauben zu holen. „Andere sind jünger als Sie und haben welche“, sagte er, „Sie müssen raus aus den Hotelküchen.“

Vegetarisch statt Wurstsemmel

2011 kam die Diagnose Herzkranzverengung. Sie müssen Ihr Leben ändern, sagte sein Arzt. Ivic tat es, konsequent wie immer: speckte ab, wurde „vom Wurstsemmelesser zum Vegetarier“ und schaute sich nach einem Partner um. Er fand ihn im Ex-Quadriga-Manager Christian Halper, der gerade einen Küchenchef für sein neues Tian suchte.

Seit vier Jahren kocht Ivic nun dort. Der Start war holprig, bis die Wiener akzeptierten, dass ein Menü weder Fleisch noch Fisch braucht. Mit dem Erfolg kamen die Hauben, der „Michelin“-Stern und ein Gefühl des Angekommenseins. „Das Fernweh wird mich nicht mehr packen“, sagt Ivic. Obwohl – so genau weiß man das nie.

Zur Person

Der 36-jährige Paul Ivic kochte bereits in zwölf Hotels der Vier- oder Fünf-Sterne-Klasse in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Spanien. Er erarbeitete sich Management- und Führungsskills, bis ihm ein Personalberater riet, den Hotelküchen den Rücken zu kehren und seine Karriere mit ein paar Hauben zu veredeln. Seit 2011 ist Ivic Küchenchef von Wiens erstem vegetarischen Haubenrestaurant Tian.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2015)

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