Das zynische Machtkalkül des Sultans

Erdoğan ordnet Politambitionen alles unter.

Der Sultan begab sich auf Reisen, obwohl daheim der Krieg tobte. Während an der Grenze der Terror um sich griff, sich in Ostanatolien und am Bosporus ein Klima der Angst breitmachte, die Sicherheitskräfte und das ganze Land unter Hochspannung standen, hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan nichts Besseres zu tun, als seine Asien-Reise anzutreten. Business as usual – das wollte der Autokrat aus Ankara der Welt und seinen Landsleuten vorgaukeln.

Alles nur Illusion: Denn in China und Indonesien betrieb der türkische Präsident vor allem Innenpolitik. Ehe er nach Peking aufbrach, kündigte Erdoğan noch auf dem Flughafen den Friedensprozess mit der PKK auf. Während er im Reich der Mitte weilte, forcierte er eine Untersuchung gegen Selahattin Demirtaş, den Chef der Kurdenpartei HDP. Auf dem Flug nach Jakarta deckte er schließlich sein insgeheimes Ziel auf: Neuwahlen im November, um die absolute Mehrheit wieder zu erringen.

Der Verwirklichung seines politischen Lebensziels, der Umwandlung in ein auf ihn zugeschnittenes Präsidialsystem, ordnet Erdoğan in seinem zynischen Machtkalkül alles unter. Dafür nimmt er das Scheitern der Aussöhnungspolitik mit den Kurden, die Eskalation von Chaos und Gewalt in Kauf. Dass seine Politstrategie auf dem Rücken der Türken ausgetragen wird, spielt in Erdoğans Masterplan keine Rolle.

thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2015)

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