Mehr Arbeitslose, doch Firmen finden keine Leute

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Österreich kämpft mit einer Rekord-Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig sucht die Gastronomie händeringend nach Mitarbeitern. Schuld daran seien die schlechte Bezahlung und die Arbeitsbedingungen, kontert die Gewerkschaft.

Wien. Kann einem Arbeitslosen aus Wien zugemutet werden, als Kellner in Tirol zu arbeiten? Angesichts der jüngsten Arbeitslosen-Zahlen streitet die Regierung, ob die Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose verschärft werden. Denn Österreich kämpft mit einer Rekord-Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig gibt es so viele freie Stellen wie noch nie.

Am Dienstag gab das Arbeitsmarktservice (AMS) bekannt, dass die Gastronomie im ersten Halbjahr 2015 in Summe 14.259 Kellner, 10.227 Köche und 5.091 Kochgehilfen suchte. Starke Nachfrage gab es auch nach Hilfskräften in den Bereichen Reinigung (9.598) und Warenverpackung (7574), allgemeine Hilfskräfte (5995) und Lagerarbeiter (4788). Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) ist für strengere Zumutbarkeitsgrenzen für Arbeitslose. Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) hält davon wenig. Unterstützt wird Schelling vom Präsidenten der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl (ÖVP). „Wenn ich lese, dass Wirtshäuser zusperren müssen, weil sie keine Leute mehr bekommen, die bereit sind, am Wochenende zu arbeiten, dann stimmt doch etwas in unserem Land nicht“, so Leitl.

Viele freie Stellen gibt es derzeit beispielsweise in Tiroler Tourismusgebieten. „Die Tiroler Hotellerie ist in den vergangenen zehn bis 15 Jahren um 40 Prozent gewachsen“, sagt Thomas Geiger von der Wirtschaftskammer Tirol. Das Potenzial an Arbeitskräften aus der Region sei begrenzt. Bislang sei es nur in Einzelfällen vorgekommen, dass sich Arbeitslose aus Wien um einen Tourismus-Job in Tirol bemüht haben. „Die Österreicher sind beim Beruf generell nicht sehr mobil“, sagt Geiger. Laut Gesetz ist für einen Arbeitslosen eine Vollzeit-Stelle nur zumutbar ist, wenn die tägliche Wegzeit hin und zurück nicht mehr als zwei Stunden ausmacht. Bei einer Teilzeit-Beschäftigung sind es eineinhalb Stunden. Ob strengere Regeln hier etwas bringen, sei fraglich, sagt Geiger von der Wirtschaftskammer Tirol. Denn die Tourismusbetriebe wollen Mitarbeiter, die motiviert und für den Job geeignet seien.

Gewerkschaft ist empört

Die Gewerkschaft ist gegen eine Verschärfung. „Solange die Einkommen im Hotel- und Gastgewerbe unterdurchschnittlich niedrig und die Belastungen überdurchschnittlich hoch sind, und solange die Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen unter dem Stichwort Flexibilisierung ständig verschlechtern wollen, solange darf sich über den Arbeitskräfte- und Nachwuchsmangel im Tourismus niemand wundern“, sagt Gottfried Winkler, Vorsitzender der Gewerkschaft Vida. Derzeit liege der kollektivvertraglich festgelegte Mindestlohn für das Hotel- und Gastgewerbe bei 1400 Euro brutto. „Das sind umgerechnet auf eine 40-Stunden-Woche rund acht Euro brutto pro Stunde – und das für eine Arbeit, die überdurchschnittlich hohe Belastungen mit sich bringt“, so Winkler.

Anstatt zu diskutieren, wie man über verschärfte Zumutbarkeitsbestimmungen mehr Arbeitslose in diese Jobs drängen könne, sollte sich die Wirtschaft lieber mehr darum kümmern, die Bedingungen attraktiver zu gestalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2015)

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