Wien: Neuer Aufstand der Spitalsärzte

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Ärztegewerkschaft Asklepios zeigt in einem Brief an Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely und KAV-Direktor Udo Janßen zahlreiche Missstände in Wiener Krankenhäusern auf.

Wien. Dass die nach monatelangem Ringen erzielte Einigung über die neuen Arbeitszeitrichtlinien für Spitalsärzte im Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) zwischen Stadt Wien, Gewerkschaft, KAV und Ärztekammer nicht ohne Nachwehen bleiben würde, war abzusehen. Zu verhärtet waren die Fronten zwischen allen Beteiligten, Skepsis, Argwohn und öffentliche Anschuldigungen begleiteten die zähen Verhandlungen bis zum buchstäblich letzten Tag.

Nur einen Monat hat es gedauert, bis die Ärztegewerkschaft Asklepios – mit rund 1000 Mitgliedern in Wien und 1800 österreichweit – eine Reihe von Missständen zusammengetragen und dazu Fragen formuliert hat, wie man diese am besten lösen kann. Diese Fragen wurden am 24. Juli an alle Asklepios-Mitglieder in Wien sowie an Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) und KAV-Generaldirektor Udo Janßen geschickt. Der „Presse“ liegt der vierseitige Brief vor.

Darin wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass sich für schwerkranke onkologische Patienten die Situation in den vergangenen Monaten deutlich verschlechtert habe. Durch reduzierte Arbeitszeiten, Kündigungen und Abwanderung seien die Kapazitäten der Onkologien in mehreren Häusern reduziert worden. Dies führe zu deutlich verlängerten Wartezeiten. „Wie wollen Sie dieser Situation entgegenarbeiten, aufbauend auf dem Wissen, dass auch entsprechend ausgebildete bzw. verfügbare Ärzte Mangelware sind?“, lautet die Frage dazu.

48 statt 60 Stunden Arbeitszeit

Darüber hinaus wird beklagt, dass es durch die seit Jänner 2015 deutlich reduzierte erlaubte Arbeitszeit von durchschnittlich 60 Stunden pro Woche auf 48 Stunden bei gleichbleibendem Personalstand und gleichem Patientenaufkommen zu einer massiven Arbeitsverdichtung für Ärzte komme.

Für Patienten resultiere daraus zusätzlich weniger Zeit sowie ein drohender Qualitätsverlust aufgrund fehlender Kontinuität und häufigerer Übergaben. „Wie werden Sie die Missstände im Gesundheitssystem an die betroffenen Ärzte kommunizieren, und werden Sie dafür die politische Verantwortung übernehmen? Wie wird der Qualitätsverlust in der Behandlung vor den Patienten gerechtfertigt?“, fragen Obmann Gernot Rainer, Schriftführerin Petra Preiss und Anna Kreil, Verantwortliche für die Landessektion Wien. Sie alle haben den Brief unterschrieben.

Ein weiterer Punkt: In den letzten Jahren sei die Ausbildungsqualität in den Wiener Spitälern wiederholt bemängelt worden, zuletzt im Rechnungshofbericht. Durch das neue Arbeitszeitgesetz werde sich daran aber nichts ändern. „Welche Ressourcen sind von Seiten des Arbeitgebers bei der Personaleinsatzplanung für Ausbildung vorgesehen, und wie viele Stunden bleiben dadurch für die Patientenversorgung bzw. für die immer mehr geforderte wissenschaftliche Tätigkeit übrig?“, wollen Rainer, Preiss und Kreil wissen.

„Die Mängel und Fragen in diesem Brief haben wir nicht nur selbst erstellt, sondern sie werden täglich von besorgten Kollegen an uns herangetragen“, sagt Rainer im „Presse“-Gespräch. Zu seinem Erstaunen sei es Anfang Juli überraschend schnell gelungen, zusätzlich zu der vom Gemeinderat beschlossenen Erhöhung des Grundgehaltes eine Kompromisslösung bezüglich der finanziellen Abgeltung der Nachtdienste und anderer Streitpunkte zu erzielen. Diese finanzielle Einigung werde auch von Asklepios vorerst akzeptiert. „Die für uns Ärzte viel wichtigeren Themen in der Debatte der vergangenen Monate sind aber vor allem unsere zukünftigen Arbeitsbedingungen, die Qualität der Patientenversorgung, die Ausbildungsstandards und die Ehrlichkeit – sowohl im Umgang mit der Bevölkerung sowie der im Gesundheitsbereich tätigen Personen“, sagt Rainer. „Die Patienten wurden in den vergangenen Monaten mit dramatischen Folgen konfrontiert. Dazu gehören eine deutliche Reduktion der OP-Kapazitäten mit verlängerten Wartezeiten, geschlossene Ambulanzen und die geplante Schließung ganzer Abteilungen sowie weniger anwesende Ärzte durch das Arbeitszeitgesetz.“

„Haben den Brief bekommen“

Aus dem Büro von Stadträtin Wehsely hieß es am Mittwoch auf Nachfrage, dass man den Brief zwar bekommen, bisher aber nicht die Zeit gehabt habe, darauf zu antworten. Das werde in den kommenden Tagen nachgeholt. Ähnlich wortkarg fiel die Antwort beim KAV aus: „Wir haben den Brief erhalten und werden ihn auch beantworten“, wurde schriftlich mitgeteilt. Auf die konkreten Fragen in dem Schreiben wollte man nicht eingehen.

Auf einen Blick

Zähe Verhandlungen. Seit 1. Jänner gilt in Österreich das neue Arbeitszeitgesetz, über deren Umsetzung ein halbes Jahr lang verhandelt wurde. Als letztes Bundesland wurde Anfang Juli in Wien eine Einigung erzielt. Diese beinhaltet im Wesentlichen eine Anhebung des Grundgehalts für KAV-Ärzte um bis 29 Prozent. Darüber hinaus werden Überstunden an Sonn- und Feiertagen weiterhin im Verhältnis von 1:2 entlohnt – allerdings sind die Überstunden nun kontingentiert. Lösung. Um eine bessere Honorierung der Nachtdienste zu ermöglichen, verzichten die Ärzte 2016 und 2017 auf die jährlichen Lohnerhöhungen bzw. Indexanpassungen, die Gemeindebedienstete erhalten. Erhalten aber die Bediensteten der Stadt Wien im Jahr 2017 einen Abschluss über 2,5 Prozent (was unwahrscheinlich ist), bekommen auch die Ärzte die Differenz ausgezahlt.
In den Spitälern des KAV arbeiten 3000 Ärzte, davon 1900 Fachärzte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2015)

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