König, Bürger, Bademeister: Der Strand für alle ist auf Sand gebaut

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GERMANY WEATHER SUMMER TOURISMAPA/EPA/STEFAN SAUER
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Jedermann hat freien Zugang zum Meer, versprechen die Gesetze in Europas Küstenstaaten. Aber wo das Geld lockt, ist dieses Recht bedroht.

Nun ist er fort, der König. Viel früher als gedacht. Dabei wollte König Salman einen ganzen Monat lang Urlaub machen, in seiner weißen Villa in Vallauris. Was für eine Verheißung für die Geschäftsleute in Cannes und Umgebung! Denn dem Monarchen aus dem Morgenland folgte eine tausendköpfige Entourage. Sie belegte die Palasthotels an der Croisette bis zum letzten Platz. Gedränge bei Chanel und Dior, täglich 15.000 frische Blumen, hunderte von gemieteten Limousinen samt Chauffeuren – für die lokale Wirtschaft begann ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Und endete jäh. Nun ist er fort, nach nur acht Tagen, ohne Erklärung. Vermutlich haben ihn die unbotmäßigen Proteste vergrault, diese Onlinepetition von 150.000 frechen Bürgern. Alles nur wegen des lächerlichen Strandes neben seinem Grundstück!

Den durfte die königliche Familie nämlich ganz für sich allein nutzen. Aus Sicherheitsgründen, wie es offiziell hieß. Dabei hat der Mirandole genannte Sandstreifen mit einer Traumbucht wenig gemein. Von bedrohlichen Stützmauern begrenzt, liegt er eingezwängt zwischen Meer, Eisenbahn und Landesstraße. Wer ihn nicht kennt, findet gar nicht hin, denn zu betreten ist er nur über einen schmalen Tunnel. Aber für die freiheitsliebenden Franzosen ist er zum Symbol geworden: Die Égalité steht auf dem Spiel.

Der Bautrupp des Königs ging auch reichlich unsensibel vor: Er sperrte den Strand in Eigenregie ab und rammte einen Betonsockel in den Sand, auf dem sich nun ein Lift zur Villa erhebt. Das illegale Bauwerk muss bis zum Herbst weg, verspricht der Präfekt. Aber noch ragt es in den azurblauen Himmel der Riviera, als Mahnmal fürstlicher Willkür. Da erhebt sich der republikanische Geist, das Volk steigt auf die Barrikaden. Denn auch wenn Geld die Welt regiert, gehört eines immer noch allen: die Küste.

„Das Meer und sein Ufer sind Gemeingut, so wie die Luft“, heißt es schon im römischen Recht. Und dieses Prinzip haben Europas Küstenstaaten von heute in ihre Verfassungen und Gesetze übernommen. Doch wo ein Gemeingut knapp wird, wie an den begehrten Gestaden des Mittelmeers, bekommt es einen Marktwert. Dann steht das Recht rasch zur Disposition – sogar in Frankreich.

Spazieren auf Privatgrund. Dass die 5000 Kilometer lange Küstenlinie des Landes jedem zugänglich ist, geht schon auf Colbert zurück, den rührigen Finanzminister Ludwigs XIV. Konkret heißt es im gültigen Gesetz von 1976: Ein Streifen von drei Metern, gemessen ab dem Saum des Meeres bei der höchsten Flut des Jahres, ist frei zu halten. Jedermann darf hier durch private Grundstücke spazieren, nicht aber radeln, reiten oder sein Zelt aufstellen.

Warum aber gibt es dennoch Häuser am Wasser, die man umgehen muss? Keine Regel ohne Ausnahme. Wo ein Gebäude weniger als 15 Meter vom Meer entfernt steht, könnte man den Weg nur direkt daran vorbeiführen. Und da wiegt ein anderes Recht stärker: das auf Schutz der Privatsphäre. Allerdings bringt es nichts, seinen Feriensitz heute noch möglichst nah ans Wasser zu bauen – die Ausnahme gilt nur für Bauten, die schon vor 1976 errichtet wurden.

Freilich: Wo viel Geld auf dem Spiel steht, findet sich immer ein Weg, den Weg zu versperren. Dem Palast der Saudis gegenüber, am Cap d'Antibes, liegt das legendäre Luxushotel Eden Roc, in dem zur Festivalzeit die Filmstars absteigen. In einem prächtigen Park voller Pinien, in gehöriger Distanz zum Wasser. Als die Kommune von Antibes vor einigen Jahren einen Spazierweg um das Kap anlegte, schlug die Stunde der Wahrheit: Dem Gesetz nach hätte der Weg quer durch den Park führen müssen. Der Chef des Hotels drohte: Dann könne er sein traditionsreiches Haus zusperren, weil die Gäste nicht mehr kämen. Was nicht unplausibel ist: Welche Millionärin am Pool lässt sich schon gern von einem vorbeistapfenden Wanderer ins Dekolleté ihres Badeanzugs schauen? Der Kompromiss: Das Hotel finanzierte die Ausweichtrasse um den Park herum, mitsamt Aussichtsplattform auf dem Hügel.

Die Lokalzeitung „Nice-Matin“ machte sich Gedanken über den „restriktiven Text“ des Gesetzes: „Müsste man nicht mehr Ausnahmen schaffen, wie etwa das wirtschaftliche Interesse?“ Wohin es freilich führt, wenn „wirtschaftliches Interesse“ das Menschenrecht auf Meeresstrand beschneidet, zeigt der Nachbar Italien. Dort geht es gar nicht ums große Geld, sondern ums kleine – um die allzu geschäftstüchtige lokale Bevölkerung. Früher haben sie gefischt. Heute machen sie in Pizza, Gelato, Hotelzimmer – und in Miete für Sand. Dazu pachten sie von der Gemeinde Strandabschnitte und stellen sie mit Hütten, Liegebetten und Sonnenschirmen voll.

Teuer oder dreckig. Solche privaten Badeanstalten gibt es auch in Frankreich. Aber dort dürfen sie den Strand nur zu maximal einem Fünftel okkupieren. In Italien gibt es keine Grenze. Weshalb Strände und Klippen immer flächendeckender mit „Stabilimenti“ vollgestopft sind. Ein Geschäft, das den Betreibern pro Jahr drei Milliarden Euro Umsatz bringt – ein Drittel davon schwarz. Zwar haben viele Badeorte eine „Spiaggia libera“, aber die liegt oft weit draußen und ist schmal, überfüllt und zugemüllt. Das nötigt den Gast, seinen Obulus im „Stabilimento“ zu entrichten. Die Preise sind so gesalzen wie das Meerwasser: Auf 39 Euro am Tag kommt heuer das Basispaket aus einem Sonnenschirm und zwei Liegebetten, haben Italiens Konsumentenschützer ermittelt. Im Schnitt, wohlgemerkt. Wo es eng oder chic wird, wie in Ligurien oder auf Sardinien, erhöht sich der Mittelwert auf 50 Euro. In den Nobel-„Bagni“ von Portofino oder Forte dei Marmi ist preislich nach oben hin fast alles offen.

Gar nicht offen ist damit der Zugang zum Meer. Sicher, es gibt auch in Italien Gesetze, die ihn garantieren sollten. Aber konkret wird es erst in regionalen Verordnungen, und diese sind so vage formuliert, dass der Pächter im Zweifel immer abkassieren kann. So darf eine sizilianische Badeanstalt den kostenlosen Durchgang vom Ort zum Wasser verwehren, wenn es „in unmittelbarer Umgebung“ einen öffentlichen Durchgang gibt. Was ist „unmittelbar“? Aus Sicht der Bademeister mit Sicherheit auch noch eine Passage in einem Kilometer Entfernung. Hat sich ein Freund der Freiheit, nach langen Umwegen, zum Wasser durchgekämpft, stellt sich die Frage, wo er sich auf seinem Badetuch niederlassen darf. Das Gesetz verspricht für einen Streifen von fünf Metern die „freie und kostenlose Nutzung der Wasserlinie, auch zum Zwecke des Badens“. Aber viele Bürgermeister umwerben ihre Strandbetreiber und verbieten per Erlass kurzerhand, was das Gesetz ausdrücklich erlaubt. Als Gast zählt eben nur, wer zahlt.

Da geht es an spanischen Stränden weit gelassener zu. Aber auch die Spanier sind der Verlockung der Vermarktung erlegen – ein paar Meter hinter dem Strand, wo das potenzielle Bauland beginnt. Und beim Bau geht es ums große Geschäft, das in der ganzen Volkswirtschaft für Boom, Blasen und Krisen sorgt. Bekanntlich ist Spaniens Mittelmeerküste fast völlig zubetoniert. Wer aber das spanische Küstengesetz durchliest, versteht die Welt nicht mehr. Denn auf dem Papier hat kein europäisches Land einen so strengen Schutz seiner Küsten vor baulichem Wildwuchs. Freilich: Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1988, als ein großer Teil des Betonwalls schon stand.

In der Folge verstaubte es in den Schubladen. Keiner hielt sich daran. Die Kommunen vergaben weiter Genehmigungen, zuweilen wurde auch ohne solche gebaut. Bis die sozialdemokratische Regierung Zapatero ab 2004 plötzlich begann, das tote Recht durchzusetzen. Ingenieure rückten aus und zogen die rote Linie der strengsten Bauverbotszone im Staatsbesitz neu. Erste Abrissraupen setzten sich in Bewegung. Fassungslose Pensionisten aus dem Norden Europas erfuhren, dass sie unwissentlich auf öffentlichem Grund gebaut hatten. Gnadenhalber erhielten sie eine Frist, in der sie ihre Immobilie noch nutzen, aber weder verkaufen noch vererben dürfen.

Ein Gesetz als Flop. Diese Rechtsunsicherheit wollte die konservative Regierung Rajoy 2012 beseitigen. Bei dieser Gelegenheit weichte sie das strenge Gesetz großzügig auf. Womit Kritiker nun fürchten, dass bald auch die letzten naturbelassenen Küstenstreifen der Bauwut zum Opfer fallen. In Summe erweist sich das Schutzgesetz als Flop auf ganzer Linie: Es hat die Verbauung nicht im mindesten gestoppt, aber das Image Spaniens bei ausländischen Immobilienkäufern nachhaltig ruiniert.

Es gibt aber noch eine zweite bittere Pointe: Den Qualitätstourismus haben die Spanier schon von ihrer Mittelmeerküste vertrieben. Sie müssen nun fürchten, dass immer mehr Reisende erkennen, dass ein verbauter Strand ohne Reiz ist. Was uns ans Meer zieht, verträgt sich nicht mit Barrieren – ob es um Betonkästen, Armeen von Sonnenschirmen oder für Potentaten gesperrte Strände geht. Wir wollen den endlosen Horizont erleben, die ewig rollenden Wellen. Wir suchen die Freiheit, für die das Meer noch immer steht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2015)

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