Bernhard Aichner: "Ich war natürlich Pippi Langstrumpf!"

Thriller-Autor Bernhard Aichner
Thriller-Autor Bernhard Aichner(c) Die Presse (Voithofer Valerie)
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Thriller-Autor Bernhard Aichner über seine krassen Bücher, seine Kunstfigur Bestatterin Brunhilde Blum – und seine eigenen Erfahrungen im Begräbnisgewerbe.

Ich kann Thriller nicht leiden.

Bernhard Aichner: Meine Frau auch nicht. Aber sie liest meine Bücher, und sie mag sie. Ich denke, man muss sich nur einlassen, dann wird das schon. Und im übrigen steckt ja auch viel Liebe in meinen Büchern. Das kommt daher, dass ich ursprünglich einen Liebesroman schrieben wollte. Hat aber nicht ganz geklappt. 

Warum lesen die Leute Thriller?

Weil die Welt so schlecht und bedrückend ist – und es ist alles so real, wenn man die Zeitung aufschlägt. Im Buch ist das Schreckliche weit weg, es ist eben Fiction – und am Ende geht alles gut aus, die Bösen werden bestraft.


Ihr Thriller „Totenfrau“ wurde sehr gelobt, u. a. von der „Times“, der „Welt“, „Brigitte“. Worum geht es in „Totenhaus“?

Wegen eines Erbschaftsstreites wird eine alte Dame exhumiert, in dem Sarg finden sich zwei Köpfe und vier Beine. Bestatterin Brunhilde Blum ist die Einzige, die die Tat begangen haben kann. Ihre DNA ist auf den Leichenteilen. Sie muss fliehen, ihre Kinder zurücklassen, sie darf nie mehr zurückkehren.


Wie weit sind die Verhandlungen über die TV-Verfilmung in Amerika gediehen?

Ich drücke täglich mehrere Stunden die Daumen. Die Verhandlungen laufen auf Hochtouren, 2016 könnte Totenfrau tatsächlich zur US-Serie werden. Die Serie wäre auf zwölf Teile angelegt, im Februar könnte bereits der Pilot gedreht werden. Es war immer mein größter Wunsch, von meinen Büchern leben zu können. „Totenfrau“ wurde bereits 100.000-mal verkauft. Das Buch ist in sieben Sprachen übersetzt, sechs kommen noch. Ich bin glücklich.

Daniel Glattauer hat mehr verkauft.

Das ist doch wunderbar. Dass es Kollegen gibt, denen man nacheifern kann. Die Internet-Romane „Gut gegen Nordwind“ und „Alle sieben Wellen“ haben mich begeistert.

Was halten Sie von „Shades of Grey“?

Sprachlich finde ich das Buch furchtbar. Aber es ist toll, dass diese Frau, E. L. James, zur richtigen Zeit diese Idee gehabt hat. Ich muss so etwas nicht lesen, ich habe es auch nicht geschafft, „Feuchtgebiete“ zu lesen.

Schreiben Sie Literatur oder Unterhaltung?

Unterhaltungsliteratur. Mir war und ist Sprache immer sehr wichtig.

Wie haben Sie Ihre Karriere gebaut?

Die vergangenen 15 Jahre war ich Fotograf. Ich bin Autodidakt, mit 20 Jahren war ich in einem Fotolabor, später Pressefotograf. Meine Frau ist auch Fotografin, wir haben uns einen Kundenstamm aufgebaut: Werbung, Wahlplakate, Kochbücher. Ich habe die Fotografie geliebt. Aber ich habe immer geschrieben, ich war fleißig, habe geübt. Ich habe noch andere Bücher veröffentlicht, den Roman „Nur Blau“ – weil ich von Yves Klein so begeistert bin – und die Max-Broll-Krimis. Ich habe dann den Verlag gewechselt, von Haymon in Innsbruck zu Bertelsmann.

Man muss sich mit Haut und Haaren in die eigene Karriere einbringen, oder?

Einsame Klause geht nicht. Man muss Interviews geben, Lesungen machen. Die Live-Begegnung mit dem Autor ist wichtig. Ich mache das gern, mit Buchhändlern und mit den Leuten reden. „Totenfrau“ ist auch stark über Mundpropaganda bekannt geworden.

Es ist auch ein Vorteil, wenn ein Autor oder eine Autorin fesch ist, oder?

Schön sein allein ist zu wenig. Ein gutes Buch ist die Voraussetzung. Aber vielleicht hilft es ja, wenn einen Frauen hübsch finden oder mögen.

Bekommen Sie Liebesbriefe?

Ich bekomme Briefe, Mails, die beantworte ich auch. Liebesbrief habe ich noch keinen bekommen. Ich strahle das auch nicht aus. Ich bin kein Filou. Mit 20 war meine Frau mal in Kärnten mit ihrer Freundin in einer Bar. Udo Jürgens war da. Nach einer Weile kam sein Assistent und sagte zur Freundin meiner Frau: „Udo möchte mit dir sprechen.“ So ein Typ bin ich nicht.

Fällt es Ihnen schwer zu schreiben?

Es ist für mich lebensnotwendig, wie Trinken und Schmusen. Es muss raus, wenn es nicht raus darf, werde ich unglücklich, traurig und depressiv.

Warum heißt Ihre Bestatterin Brunhilde? Mögen Sie Richard Wagner?

Nein. In meiner Familie heißen alle Siegfried, Sieglinde, Gunhild, Gerhild.

Hat das noch mit der Nazi-Zeit zu tun?

Kann sein, ich nehme es an.

Sie wirken so sympathisch und schreiben so schreckliche Geschichten: Wie Jekyll and Hyde. Wer ist der Stärkere in Ihnen?

Das steckt doch in uns allen drin. Nehmen Sie die Flüchtlingstragödien. Es heißt immer, die Gemeinden wollen keine Flüchtlinge aufnehmen. Mein Schwiegervater lebt in Diex, einem Ort mit einem FPÖ-Bürgermeister. Mein Schwiegervater war Oberst. Er hat jetzt in seinem Appartementhaus 50 Flüchtlinge untergebracht. In dem Dorf wurde gesammelt, da sind so viele Kleider und Sachen zusammengekommen, dass sie einen Teil der Caritas gegeben haben.

Die Beherberger bekommen vom Staat Geld für die Unterbringung der Flüchtlinge.

Natürlich macht mein Schwiegervater das auch wegen des Geldes. Aber in erster Linie mag er die Menschen. Die Stimmung in dem Dorf hat sich völlig umgedreht, vorher haben alle gegen die Ausländer geteufelt – und jetzt sind sie plötzlich sehr nett zu ihnen.

Welche Bücher waren wichtig für Sie?

Pippi Langstrumpf! Später „Werther“.

Wer waren Sie in „Pippi Langstrumpf“?

Ich war natürlich Pippi! Aber auch Astrid Lindgren habe ich cool gefunden, dass sie in dieser Zeit, den 1940er-Jahren, dieses rotzfreche Mädchen erfunden hat. Ich habe mich bemüht, das in meinem Leben umzusetzen.

Da hatten sicher alle viel Freude. Sind Sie streng erzogen worden?

Schon. Meine Eltern hatten ein Möbelgeschäft, beide haben gearbeitet. Wir sind drei Kinder zu Hause.

Wurden Sie von Großeltern aufgezogen?

Nein. Die Großeltern habe ich nicht mehr wirklich kennengelernt. Der eine Großvater war ständig am Sterben. Wir haben ihn jeden Sonntag besucht, er war 85, ist immer im Bett gelegen.

Sie haben – um für Ihre Bücher zu recherchieren – in der Bestattung gearbeitet?

Ich war in der Gerichtsmedizin, und neben mir wurde eine Leiche reingeschoben. Ich wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. Da dachte ich: So geht das nicht. Ich schreibe Bücher, in denen jemand getötet wird, und mache mir in die Hosen, wenn ich eine Leiche sehe. Dann bin ich zur Bestattung gegangen. Man weiß das Leben mehr zu schätzen, wenn man erlebt, wie es ist, wenn es aus ist. Niemand gibt dir mehr ein Busserl, streicht über deine Hand.

Sind Sie ein Softie?

Meine Frau würde Ja sagen.

Ein Frauenversteher?

Ja. Ich möchte Frauen verstehen und respektvoll behandeln. Wenn man zuhört, welche Bedürfnisse der andere hat, egal, ob Mann oder Frau, stellt sich Romantik von selbst ein. Man muss seinen Narzissmus in den Griff kriegen. Männer haben oft das Problem, dass sie sich zu wichtig nehmen – und alles andere sind „Regelbeschwerden“. So einfach ist es nicht im Leben.

Wie viele Kinder haben Sie?

Drei: vier, sechs und zwölf Jahre. Ich bin gern Papa. Ich spiele gern mit den Kindern – und wir schauen uns TV-Serien an, die ich schon gesehen habe: „Biene Maja“, „Nils Holgersson“, „Pumuckl“.

Wie geht es weiter mit Bestatterin Blum?

Nach drei Bänden ist Schluss.

Und dann? Kommt richtige Literatur.

Ich habe immer schon richtige Literatur geschrieben. Ein guter Krimi kann wesentlich literarischer sein, als manch anderes Buch. Für mein Seelenheil muss ich aber mal was schreiben, wo keine Leute umgebracht werden. Ich bin schon dabei. Parallel zum dritten Blum-Roman entsteht etwas ganz Romantisches. Beinahe leichenfrei.

Ohne Tod geht es bei Ihnen nicht.

Es ist in mir drin. Schauen Sie, die zwei Herren dort an dem Tisch. Ich beobachte sie, frage mich, was sie zu verbergen haben – schon fällt mir eine Geschichte ein. In „Totenfrau“ habe ich einen Pfarrer sterben lassen, der ein sehr schlechter Mensch war. Ich war lange Ministrant. Es musste sein. Dann hat mich die Pressesprecherin der Diözese Innsbruck angerufen, ich soll Bischof Manfred Scheuer fotografieren. Ich habe ihr von meinem Buch erzählt. Sie sagte, na, dann machen wir das Foto lieber, bevor das Buch erscheint.

Herr Aichner, darf man Sie auch fragen...


1... ob Sie selbst schon einmal Todesangst hatten – oder ein traumatisches Erlebnis?

Ich war 2004 in Thailand beim Tsunami. Ich habe überlebt. Aber ich träume noch immer von Hochwasser – und alle sterben.

2... ob Sie nie Angst haben, dass Ihnen ähnliche Grausamkeit geschieht wie Ihren Figuren?

Nein. Ich schreibe Fiction. Und so grausame, schräge und absurde Dinge wie sie in der „Bild“-Zeitung stehen, könnte ich gar nicht erfinden. Da würden die Leute sagen: Der Bernhard Aichner übertreibt schon wieder.


3... ob Sie glauben, dass es ein Leben nach dem Tod gibt?

Nein, ich glaube, es ist aus. Ich glaube auch nicht, dass es etwas bringt, Angst zu haben. Ich bin mehr schicksalsgläubig. Man kommt dem Tod nicht aus. Wenn es sein soll, passiert es. Ich war einmal bei einer Obduktion dabei. Man bekommt Respekt vor dem Wunderding Körper, wenn man ihn zerlegt sieht.

Steckbrief

1972
Bernhard Aichner wird in Innsbruck geboren und wächst in Osttirol auf. Er hat zwei Geschwister, die Eltern haben ein Möbelgeschäft. Das Gymnasium bricht Aichner ab.

1992
Er holt die Matura nach und studiert Germanistik. Er arbeitet als Pressefotograf und für die Werbung.

2000
Sein erster Erzählband erscheint beim Skarabäus-Verlag. 2002 folgt der erste Roman „Das Nötigste über das Glück“. Aichner hat auch Stücke geschrieben („Pissoir“, „Poltern“, „Super Andi“).

2006
Weitere Romane: „Nur Blau“, „Schnee kommt“ – und die Max-Broll-Krimis.

2014
Großer Erfolg mit „Totenfrau“. „Totenhaus“, Band zwei der Serie, kommt Mitte August heraus (btb).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2015)

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