Humanitäre Krise: Deutschland will mehr Balkanflüchtlinge ausweisen

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Wirtschafts- und Kriegsflüchtlinge kämpfen um einen Platz. Die Situation in Griechenland verschärft sich.

Wien/Berlin/Athen/London. Bei der Debatte um die Behandlung von Kriegsflüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen werden lautere Töne angeschlagen: Erst in der vergangenen Woche plädierte der Europa-Direktor des UN-Flüchtlingshochkommissariats, Vincent Cochetel, dafür, dass die EU Wirtschaftsflüchtlinge konsequent abschieben solle, da sie das „System blockieren“ und somit den Platz für die „wirklich Schutzbedürftigen“ belegen würden: „Nur so versteht die Bevölkerung, dass diejenigen, die bleiben, wirklich schutzbedürftig sind.“ In dieselbe Kerbe schlägt nun auch Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD): Man könne die Akzeptanz für Flüchtlinge nur dann erhalten, wenn Verfahren beschleunigt und bei jenen, die keine Chance auf Anerkennung haben, Klarheit geschaffen werde.

Konkret bezieht sich Steinmeier auf die Flüchtlinge aus dem Balkan, deren Herkunftsländer als sichere Staaten gelten. Von den derzeitig 200.000 Flüchtlingen in Deutschland stammt knapp die Hälfte aus dem Balkan. Steinmeiers SPD will nun auch die Länder Kosovo, Albanien und Montenegro als sichere Herkunftsländer einstufen lassen. Erst seit November vergangenen Jahres gelten Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten; somit werden die Anträge aus diesen Ländern schneller bearbeitet, und im Fall eines negativen Bescheids können die Betroffenen schneller rückgeführt werden. Auch die Union plädiert für eine schnelle Rückführung von Balkanflüchtlingen: Fraktionschef Volker Kauder sagte in der „Welt“, dass die Betroffenen nicht mehr an die Kommunen verteilt werden sollten: „Sie sollten direkt aus den Erstaufnahmeeinrichtungen in ihre Heimatländer zurückgeführt werden.“ Auch der CDU-Vize, Thomas Strobl, ist für eine härtere Gangart. Für Flüchtlinge aus dem Westbalkan sei das Asylrecht der falsche Weg. „Deswegen müssen wir dorthin ein klares Signal senden: Verkauft nicht euer Haus, um den Schleuser zu bezahlen, denn wir werden Euch zurückschicken, und dann steht Ihr mit noch weniger, mit ganz leeren Händen, da.“

200 Vermisste nach Bootsunfall

Angedacht wird in Deutschland auch, dass die Balkanflüchtlinge mit dem negativen Asylbescheid auch ein Einreiseverbot bekommen sollen. Grüne und Linke kritisieren die Pläne der Regierung. Der Asylgipfel von Bund und Ländern könnte dem Vernehmen nach schon Anfang September stattfinden und nicht, wie ursprünglich geplant, im Oktober oder November.

Die Lage in den Ländern am Mittelmeer bleibt unterdessen weiterhin kritisch: Den Vereinten Nationen zufolge sind heuer bereits 97.000 Flüchtlinge in Italien eingetroffen – im gesamten vergangenen Jahr waren es 170.000. Die meisten Betroffenen sind in Sizilien sowie in den Regionen Lombardei und Latium untergebracht. Inzwischen hat Griechenland aber Italien als Ankunftsort Nummer eins für Flüchtlinge abgelöst. Laut dem Chef des griechischen UN-Flüchtlingshilfswerks, Giorgos Tsarbopoulos, sind heuer im ersten Halbjahr 124.000 Flüchtlinge in Griechenland angekommen. Schlepperorganisationen peilen insbesondere die griechischen Inseln an, oft lassen sie die Flüchtlinge in dürftigen Booten reisen, die zudem auch noch überfüllt sind. Erst vor einigen Tagen kam es an der libyschen Küste zu einer Katastrophe mit einem völlig überfüllten Schiff: 200 Menschen – die meisten aus Syrien – gelten weiterhin als vermisst.

Der griechische Premier Alexis Tsipras hat die EU um dringende Hilfe bei der Betreuung der Flüchtlinge gebeten: Das Land habe nicht die nötige Infrastruktur, um den Flüchtlingszustrom in den Griff zu bekommen: „Jetzt wird sich zeigen, ob die EU eine EU der Solidarität ist oder eine EU, in der alle versuchen, die eigenen Grenzen zu schützen.“ Zuvor hatte die UNO die chaotischen Zustände auf den griechischen Inseln bemängelt, allerdings gab Vincent Cochetel von den Vereinten Nationen auch an, dass die EU Athen bei der Flüchtlingskrise unterstützen müsse. Cochetel war auf Lokalaugenschein auf den Inseln und berichtete später, dass die Flüchtlinge ohne Betreuung und unter freiem Himmel schlafen müssten.

„Flüchtlinge senken Lebensstandard“

Die UNO hat auch Großbritannien und Frankreich in ihrem Umgang mit Flüchtlingen kritisiert, die in Calais campieren. Zuvor wurde bekannt, dass mehr Sicherheitspersonal den Zustrom der Flüchtlinge in den Eurotunnel einschränken solle. Laut Cochetel führe dies dazu, dass die Betroffenen noch mehr Gefahren auf sich nehmen müssen. Durch den Tunnel wollten in den vergangenen Tagen hunderte Menschen nach Großbritannien gelangen. Auf der französischen Seite hausen die Betroffenen laut UNO in dürftigen Zelten. Der britische Außenminister, Philip Hammond, gab am Sonntag an, dass die Flüchtlingskrise das soziale Gefüge in der EU gefährde. Man könne die Menschen nicht schützen und gleichzeitig den Lebensstandard aufrechterhalten. (ag./red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2015)

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