Ein gesundes Leben beginnt nicht erst im staatlichen Wellness-Urlaub

Kuren sollen mehr Therapie und weniger Urlaub sein, sagt der Chef der Sozial- versicherungsträger. Damit hat er recht. Noch wichtiger ist aber die Zeit davor.

"Warum fährst du denn nicht auf Kur?“ Es gibt wohl kaum einen Österreicher, dem in der zweiten Hälfte seines Arbeitslebens diese Frage von Kollegen oder Freunden nicht regelmäßig gestellt wird. Und klarerweise nehmen die meisten das Angebot auch an. Denn irgendeinen Grund gibt es ja immer. Kaum ein Arbeitnehmer, der seine Jugend schon etwas zurückgelassen hat, ist vollkommen frei von Rückenschmerzen, Bluthochdruck oder einfach einer allgemeinen – oft auch psychisch bedingten – Erschlaffung. Da machen sich drei bis vier Wochen in einem schönen Kurhotel mit sanften Therapien und viel Zeit zur Entspannung auf jeden Fall gut.

Die Kur ist in der Sichtweise vieler Österreicher eines dieser sagenumwobenen „wohlerworbenen Rechte“. Zumindest einmal im Leben geht man. Wer auf den Geschmack gekommen ist, macht es gern noch ein zweites oder drittes Mal. Der Anspruch ist ja da. Dass es dem einen oder anderen dabei mehr um Wellness oder Spaß als um eine echte Therapie geht, zeigen die im Bekanntenkreis in der Folge erzählten Anekdoten von „hereingeschmuggelten Weinflaschen“, „lästigen Therapiestunden“ und den berühmten „Kurschatten“.


Aber auch ohne diese Extrembeispiele ist es durchaus berechtigt, nach dem langfristigen Erfolg von Kuren zu fragen. Schließlich kosten die jährlich rund 120.000 Kuraufenthalte die heimischen Sozialversicherungen mehr als 200 Millionen Euro. Und auch wenn eine Person mit echten gesundheitlichen Problemen und dem Wunsch, diese zu mildern, auf ein ambitioniertes Kurteam stößt, das die richtigen Therapien einsetzt, kann ein dreiwöchiger Kuraufenthalt maximal der Anstoß für eine dauerhafte Verbesserung des Gesundheitszustandes sein. Der Vorschlag des Chefs des Hauptverbands der heimischen Sozialversicherungsträger, Peter McDonald, wonach Kuren nicht mehr singuläre Ereignisse sein sollen, sondern Teil einer längerfristigen Therapie, mit zwischen Arzt und Patienten festgelegten Zielen, ist daher sicher richtig.

Fraglich ist jedoch, wie das Ganze in der Praxis umgesetzt werden soll. Natürlich können Nachbetreuungstermine schnell zum verpflichtenden Teil eines Kuraufenthalts gemacht werden. Doch das allein bringt noch keine Erfolgsgarantie.

Die Ursachen für Kuraufenthalte sind nämlich in der Regel die üblichen Verdächtigen der Gesundheitsvorsorge: falsche Ernährung, ungesunde Beanspruchung des Körpers und zu wenig Bewegung. Und um hierbei eine dauerhafte Verbesserung der Symptome zu schaffen, braucht es meist auch eine komplette Änderung der Lebensgewohnheiten – und nicht nur einen dreiwöchigen Aufenthalt in einem Kurhotel.


Dieses Umdenken der Betroffenen selbst ist jedoch leichter gesagt als getan. Denn natürlich weiß jeder im Grunde, was für ihn gesund und was ungesund ist. Dennoch ist es zutiefst menschlich, im Zweifelsfall trotzdem zur Zigarette und zum Schweinsbraten zu greifen und das Rad zu Hause zu lassen und mit dem Auto zu fahren. Will der Staat – was aufgrund der explodierenden Gesundheitskosten ja auch berechtigt ist – hier präventiv eingreifen, ist es beim Kuraufenthalt ohnehin schon zu spät.

Denn das Gesundbleiben muss schon beginnen, wenn die Gesundheit noch intakt ist. Verantwortlich ist dafür in erster Linie natürlich jeder Einzelne. Kostenlose Präventivuntersuchungen können hier aber unterstützen. Ein Umdenken brauchte es auch in der Arbeitswelt. Denn viele Kurprobleme hängen direkt mit dem täglichen Job der Betroffenen zusammen. Der gesunde Arbeitsplatz sollte also kein Orchideenthema für Corporate-Social-Responsibility-Berichte sein, das es heute oft ist, sondern ein entscheidender Baustein in der gesamten Vorsorge.

Denn nur so kann es möglich werden, künftig auch in höherem Alter noch produktiv tätig zu sein. Und das wird aufgrund der demografischen Veränderungen und des sonst nicht nachhaltigen Pensionssystems einfach notwendig werden.

E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2015)

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