"Der Pate" machte ihn zum Regiestar. Genau 30 Jahre nach dem Triumph mit "Apocalypse Now" ist Starregisseur Francis Ford Coppola wieder in Cannes. Und hat eine Glamourgala für seinen neuen Film "Tetro" verweigert.
Es ist eine der legendären Geschichten von Cannes: Nachdem Francis Ford Coppola mit Der Pate zum Superstar unter den Hollywood-Regisseuren geworden war, investierte er sein ganzes Kapital in das Vietnam-Epos Apocalypse Now. Doch die Dreharbeiten verliefen desaströs: Unwetter, kreative Krisen und Schauspieler, die wegen Krankheit ausfielen – oder sich wie geisteskrank gebärdeten (Marlon Brando). Nach vier Jahren im philippinischen Dschungel und wahnwitziger Postproduktion hatte Coppola schließlich einen Mammutfilm fertig, aber er wusste noch immer nicht, wie er ihn enden lassen sollte!
Als Apocalypse Now dann 1979 im Wettbewerb von Cannes uraufgeführt wurde, schien Coppola zum Abschuss freigegeben: Doch die Premiere wurde zum Triumph, obwohl ein verunsicherter Coppola am nächsten Tag in einem kleinen Kino nahe dem Festivalpalais tatsächlich ein alternatives Ende vorführen ließ, nachdem er die gesamte US-Presse wegen ihrer unwahren Berichte über den schwierigen Dreh in Bausch und Bogen als „dekadente Lügner“ beschimpft hatte. Am Ende teilte sich Coppolas Film die „Goldene Palme“ mit Volker Schlöndorffs Die Blechtrommel – und wurde ein Welterfolg, was Coppola vor dem Ruin bewahrte.
30 Jahre später ist Coppola wieder in Cannes, und auch beim neuen Film Tetro, einem in Argentinien spielenden Bruderdrama, gab es Festivalhickhack. „Es war wie bei Apocalypse Now“, erzählt Coppola: „Damals bin ich zuerst nicht in den Wettbewerb eingeladen worden, weil der Film nicht fertig war: Man wollte ihn nur außer Konkurrenz zeigen. Aber ich finde, wenn ein Film neben allen anderen gezeigt wird, dann soll er sich auch mit ihnen im Wettbewerb messen, und habe das damals auch durchgesetzt. Heuer hatte das Festival so viele gute Filme aus aller Welt zur Auswahl, dass mir wieder nur eine Abendgala außer Konkurrenz angeboten wurde. Aber Tetro ist eher eine Art Independentfilm, in Schwarz-Weiß, fernab von Hollywood realisiert – eine glamouröse Präsentation im Frack am roten Teppich wäre mir falsch vorgekommen. Aber das parallel stattfindende Festival Quinzaine des Réalisateurs hatte mich auch eingeladen, als Eröffnungsfilm – das schien perfekt.“
Die Quinzaine ist eine Institution des Autorenfilms: Gegründet wurde sie 1969, nachdem die 68er-Proteste zum Abbruch von Cannes geführt hatten. Dessen „offizielle Selektion“ galt als zu konservativ. Seither hat die Quinzaine viele jener Filmemacher entdeckt, die danach im Wettbewerb von Cannes reüssierten: Etwa ganz große US-Namen wie Martin Scorsese und Jim Jarmusch oder wichtige Weltkino-Autoren wie den Japaner Oshima Nagisa und den Österreicher Michael Haneke.
Rückkehr in gestreiften Socken. Auch für Coppola ist es eine Art Rückkehr: Als Produzent war er schon 1971 bei der Quinzaine– mit THX 1138, dem ersten Science-Fiction-Film von Star Wars-Schöpfer George Lucas. Ungezwungen erscheint Coppola an der Seite von Gattin Eleanor zur Premiere von Tetro: kein Anzug, sondern knallgelbes, kurzärmeliges Hemd und weiße Socken mit bunten Streifen. Ein persönlicher Auftritt für einen persönlichen Film: Es ist, wie so oft bei Coppola, eine Familiengeschichte. Ein junger Mann (der Debütant Alden Ehrenreich) trifft seinen vor zehn Jahren untergetauchten Bruder in Buenos Aires wieder. Enfant terrible Vincent Gallo spielt den älteren: Ein verbitterter Schriftsteller, der seine Werke nie veröffentlicht hat, weil er nie aus dem Schatten der übermächtigen Vaterfigur, eines weltberühmten New Yorker Dirigenten, zu treten vermochte. (Eine exzentrische Doppelrolle für den Österreicher Klaus Maria Brandauer: Er verkörpert sowohl den Vater wie dessen Bruder.)
Schrittweise offenbart sich ein abgründiges Familiendrama, wobei der Film für Rückblenden und barocke Traumszenen von Schwarz-Weiß in Farbe wechselt. Beeinflusst von „Hoffmanns Erzählungen“ mischt Coppola opernhafte Künstlerstudie und neurotisches Familiendrama: Die gewagte Verbindung funktioniert nicht immer, aber die letzte halbe Stunde, als es bei einem Theaterfestival vor atemberaubender patagonischer Landschaft zur entscheidenden Konfrontation kommt, ist schlichtweg grandios.
Da darf man durchaus an die Verbindung von Familiensaga und Opernästhetik in Der Pate denken. Und Coppola stimmt zu. Beim Dreh zum Mafiaklassiker habe er nichts über Gangster gewusst: „Also habe ich meine eigene Familie als Vorbild genommen, wie in Tetro: Nichts in der Geschichte des neuen Films ist wirklich passiert – aber alles daran ist wahr.“ Und dann fügt er grinsend hinzu: „Aber es gibt schon entscheidende Unterschiede zu Der Pate: Vier Messerstechereien, drei Autoexplosionen, zahllose Tote durch Schießereien und so weiter...“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2009)