Demografische Änderungen und ein neues Mobilitätsverhalten werden die Städte des 21. Jahrhunderts kennzeichnen und sie damit lebenswerter machen. Die Stadtplanung beginnt umzudenken.
Hatte die Stadtplanung noch im 20. Jahrhundert in der westlichen Welt zur Trennung von Wohnen und Arbeiten, der Förderung von Lebensweisen, die den Energiekonsum und den Zeitaufwand für tägliche Verrichtungen steigern, geführt, so ist im 21. Jahrhundert ein Umdenken in der Raum- und Stadtplanung und eine Abkehr vom System der langweiligen Speckgürtel und monofunktionalen Vorstädte zu beobachten. Eine leistungsfähige und engagierte ältere Generation, die länger im Berufsleben verbleibt, aber mehr Wert auf Lebens- und Arbeitsqualität legt, sowie mehrheitlich berufstätige Frauen achten auf eine Reduktion des Zeitaufwandes für tägliche Wege.
Die Trennung von Wohnen und Arbeiten wird dadurch obsolet und die Stadt der kurzen Wege Realität. Soziale und kulturelle Zentren werden sich in unmittelbarer Nähe von Wohn- und Arbeitsorten befinden. Dies wird zu Konzentrationen an öffentlich gut erreichbaren und zur Verödung von schlecht erschlossenen, von Einfamilienhäusern geprägten Standorten führen.
Eine Gruppe von Planerinnen, Urbanistinnen und urbanen Archäologinnen hatte sich 2014 einige zukunftsweisende Fragen gestellt, die dazu inspirieren, Ideen für die Stadt und insbesondere den öffentlichen Raum zu entwickeln:
„Wie steht es um das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit in welchen städtischen Räumen?
Welche individuellen und kollektiven Bedürfnisse sind in öffentlichen und privaten Räumen zu erfüllen?“
Verschiedene Altersgruppen
In Wien leben inzwischen Menschen unterschiedlichster Herkunft und Altersgruppen. Es gibt allerdings viel mehr junge und ältere Menschen als noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Diese demografischen Veränderungen werden Auswirkungen auf die Stadtplanung und Architektur haben und unter anderem die barrierefreie Gestaltung der öffentlichen Räume und der Gebäude bedingen.
Nach der Hitzewelle 2015 sollte sich die Stadt radikal verändern ... Der hohe Grad an Bodenversiegelung in den Straßenräumen führt bei Sonne zur Überhitzung und fehlender nächtlicher Abkühlung, bei Regen hingegen zur Überlastung der Straßenkanäle – es müssten wieder Oberflächen geschaffen werden, die Wasser aufnehmen können, und mehr Bäume gepflanzt werden. Mehr Pflanzen und mehr Wasser würden erheblich zur Abkühlung der überhitzten Stadt beitragen.
Der Donaukanal könnte durch gesicherte Schwimmbereiche zum Badefluss und der Wienfluss zum Naherholungsgebiet mit Schwimmbecken und Schwimmstegen in bereichsweise aufgestauten Zonen werden. Die Gefahr schnell steigender Wasserpegel im Flussbett durch unvorhersehbare lokale Platzregen wäre dann durch die Entlastung der Straßenkanäle so reduziert, dass die öffentliche Nutzung durch ein Warnsystem in Kombination mit neuen Fluchtwegen möglich würde.
In Wien ist der Anteil der Grünflächen im Stadtgebiet vergleichsweise sehr hoch, doch sind diese nicht gleichmäßig in der Stadt verteilt, sondern konzentrieren sich an den Stadträndern, im 2., 3., 4. und 9. Bezirk und in den zahlreichen begrünten Innenhöfen. In Hitzeperioden wird dieses Ungleichgewicht in den überhitzten Straßenräumen spürbar.
Eine Begrünung mit Straßenbäumen, Pflanztrögen und begrünten Balkonen könnte Linderung schaffen und sogar positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Bisher wurden Maßnahmen dieser Art, zum Beispiel in der Porzellangasse, aufgrund der Stellplatzverluste von der Bevölkerung nicht ausreichend gewürdigt und trotz guter Realisierungsmöglichkeiten nicht weiter verfolgt.
Wenig Interesse am Auto
Eine Chance eröffnet sich aktuell durch das veränderte Mobilitätsverhalten einer neuen Generation. Junge Menschen, die kein Interesse mehr an individuellem Autobesitz zeigen, werden die Straßenräume nicht nur entlasten, sondern auch andere Erwartungen an sie stellen: mehrspurige Straßen können zu Alleen mit angenehmen Aufenthalts- und Fortbewegungsbereichen für Fußgänger und Radfahrer werden. Die Stadt würde viel leiser.
Auf Nebenstraßen könnten auf versiegelten Verkehrsflächen öffentlich nutzbare, attraktive Aufenthaltsräume, Stadtgärten und kleine Plätze entstehen. Die Gehsteige könnten zur allgemeinen Aneignung freigegeben, als Vorgärten gestaltet und mit Möbeln und Pflanzen „wohnlich“ gemacht werden.
Diese Pufferzonen würden die dahinter liegenden Erdgeschoßlokale aufwerten, sodass je nach Lage unterschiedlichste Nutzungen angezogen würden: Ateliers, Gemeinschaftsbüros, Kinderspielräume, Nachbarschaftsläden und -cafés als Quartiertreffpunkte, Lokale, Wohnungen und Gewächshäuser vor südseitigen Erdgeschoßlokalen zur Selbstversorgung. Aber auch bisher völlig ungenutzte Zwischenräume, die besonders entlang von Verkehrsachsen zu finden sind, bieten großes Umnutzungs- und Aufwertungspotenzial.
Gebäude sollten flexibel für Umnutzungen, experimentell und energieautark werden. Hochhäuser werden zunehmend als die geeignete Bauform erkannt werden, um ausreichend Wohn- und Arbeitsraum zu schaffen, und belebter als die heutigen sein, da die unterschiedlichsten Nutzungen, wie Wohnungen, Büros, Geschäfte, Sozial- und Kultureinrichtungen, dort gemischt Platz finden können. Um die Fallwinde abzuschwächen und Sonne und Wind zu nutzen, sollten die Türme mit strukturierten Formen und begrünten Balkonen, Photovoltaikfassaden und Windturbinen gebaut werden.
Betrachtet man die Investitionskosten im Vergleich zur Erhaltung und Bewirtschaftung eines Gebäudes, machen diese auf die Lebensdauer berechnet nur wenige Prozent aus. Die innovativen Leistungen würden sich steigern, und die Wertschöpfung wäre weitreichend, die Wirtschaft würde belebt, da viele lokale Firmen ihre innovativen Produkte auf dem heimischen Markt einsetzen könnten. Die Gebäude österreichischer ArchitektInnen würden noch visionärer und inspirierender. Die internationale Anerkennung würde dank der Kombination kreativer mit technischer Innovationen zum bahnbrechenden Erfolg führen. Neu errichtete, aber auch bestehende Gebäude könnten durch grüne Dächer und Fassaden sowie Balkone als vertikale Gärten einen positiven Beitrag zum Stadtklima leisten.
Donaubrücken werden grün
Bestimmte Donaubrücken könnten teilweise in grüne Brücken umgewandelt werden. Da sie keine dynamischen Lasten mehr zu tragen hätten, könnten Erdkörper aufgebracht und Bäume gepflanzt werden; diese wären ein beliebter Erholungsraum. Einige könnten sogar zu bewohnten Brücken mit Leichtbauten aus recyceltem Stahl und Holz werden, andere zum Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Ausgehen beide Donauufer verbinden. Waren solche „Brückengebäude“ Ende des 20. Jahrhunderts noch Vision, könnten sie im 21. Jahrhundert zur Realität werden.
DIE AUTORIN
Silja Tillner ist Architektin und Stadtplanerin. Sie führt in Wien ein gemeinsames Büro mit Alfred Willinger. Die bekanntesten Projekte sind die „Skyline Spittelau“, die Revitalisierung der Gürtelbögen und der Urban-Loritz-Platz. Ihr Büro hat auch die Wientalterrassen entworfen, die zwischen dem fünften und sechsten Bezirk entstehen. [ tw-arch ]
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2015)