Die Sorgen der alten Herrschaften gehen uns noch etwas an

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Eine Auswahl der furiosesten Momente aus antiken Tragödien, die sich auf CD nachhören lassen: von der Callas bis zur Rysanek.

Die Probe aufs Exempel machte Elisabeth Kulman in ihrem Liederabend bei den Salzburger Festspielen: Begleitet von Eduard Kutrowatz sang sie als Zugabe das „Ach, ich habe sie verloren“ aus Glucks „Orpheus“. An dieser Arie schieden sich von Anfang an die Geister. Eine C-Dur-Melodie, die sich strahlend schön und entspannt vortragen lässt – wie soll die zu dem schmerzvollen Text passen?
Es kommt immer darauf an, wer eine Melodie singt, und wie. Der Kulman gelang es, durch Stimmfarbe, Artikulation und Phrasierung „ein gar traurig Lied“ aus dem Stück zu machen. So muss es wohl gemeint gewesen sein.

Gluck also kann man Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn man sein Bestreben ernst nimmt, stets getreulich dem Text zu folgen. Der Wahrhaftigkeit galt sein Bestreben – und er wollte ihr gegen die wuchernde barocke Musiziertradition zum Durchbruch verhelfen, aber doch den antiken Stoffen treu bleiben, die schon die Altvordern als ideale Librettogrundlagen bewertet hatten.
Suchen wir nach Sendboten, die uns Glucks Musik und antike Schicksale ins Heute katapultieren, dann werden wir bei Maria Callas fündig, die „Divinité du Styx“ („Alceste“) wie keine andere zur aufgeputschten dramatischen Szene gemacht hat. Die diversen Aufnahmen sind immer wieder aufgelegt worden und auch im Internet leicht zu finden.

So viel aufwühlende Emotionalität hat in antiker Sache nur noch Mozart freigesetzt; freilich hat er das mutige, wilde Stück noch vor der Uraufführung gestrichen. Gottlob ist es erhalten geblieben, und jede Elektra singt es heute gern, wenigen aber gelingt es so wie Alexandrina Pendachanska (bei René Jacobs/harmonia mundi), die Bedrohlichkeit des hereinbrechenden Irrsinns so beklemmend in vokalen Ausdruck zu verwandeln.
Musikhistorisch etwas näher liegt uns schon Luigi Cherubinis „Medea“, deren große Finalszene Leonie Rysanek einstens unvergesslich intensiv zu gestalten wusste. Davon dürfte legal zwar keine Aufnahme zu bekommen sein; doch werden Suchende sicher leicht fündig . . .

Von den „modernen“ Antiken-Vertonungen sind die von Richard Strauss natürlich Favoriten in den Spielplänen und CD-Katalogen. Die ganze Albtraumwelt der Psychologie des Fin de siècle vermählt sich da mit der lapidaren Wucht der antiken Tragödie: Wie Birgit Nilsson und Regina Resnik anlässlich der Wiener Premiere unter Karl Böhms Leitung (1965) als Elektra und Klytämnestra aneinandergeraten sind, muss man gehört haben (Orfeo).

Böhm dirigierte auch die Fest-Aufführung der „Daphne“ zum 100. Strauss-Geburtstag im Theater an der Wien mit Hilde Güden, James King und Fritz Wunderlich – ein Aufnahmeklassiker voll Livespannung.

Vom Strauss-Apostel unserer Tage, Christian Thielemann, kommt hoffentlich irgendwann legal ein Mitschnitt der „Ägyptischen Helena“ mit Deborah Voigt aus London in den Handel: In seiner eruptiven Energetik und Leuchtkraft wäre er die schönste Ehrenrettung für ein vielfach als unspielbar, weil gedankenverwirrt geltendes Kleinod!

Eine rare Chance bietet sich kommendes Jahr in Salzburg: Richard Strauss' letzte Antikenoper, „Die Liebe der Danae“, kommt (am Uraufführungsort als Koproduktion mit Wien) unter Franz Welser-Möst wieder einmal szenisch heraus – vielleicht entsteht dabei endlich ein Mitschnitt, der diesem Werk, das Strauss für besonders gelungen hielt, zu größerer Aufmerksamkeit verhilft.

Termine

„Iphigenie“. Glucks „Iphigénie en Tauride“ wird bei den Salzburger Festspielen von Cecilia Bartolis Pfingstfestival übernommen. Premiere: 19. August.

„Dido und Aeneas“, Henry Purcells Meisterwerk, erklingt am 18. August in einer konzertanten Aufführung unter Thomas Hengelbrock.

Mozarts für die Wiener Aufführung seines „Idomeneo“ nachkomponierte Arie singt Annet Fritsch in der Mozart-Matinee am 22. und 23. August unter Adam Fischer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.08.2015)

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