Rezept gegen sterbende Ortskerne: Ein Einkaufszentrum im Stadtzentrum

Die neue Strategie gilt für Tamsweg ebenso wie für die Stadt Salzburg.
Die neue Strategie gilt für Tamsweg ebenso wie für die Stadt Salzburg.Clemens fabry / Die Presse
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Wie gelingt es, dass die Menschen im Ortszentrum und nicht in der Peripherie einkaufen? Tamsweg in Salzburg zeigt vor, wie ein Sterben der Ortskerne verhindert werden kann.

Mehr Fläche, mehr Arbeitsplätze, mehr Konsum: Jahrzehntelang setzte Salzburg nach dieser einfachen Formel auf den Bau neuer und immer größerer Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Der Aufschrei der Innenstadtkaufleute gegen die Konkurrenz am Stadtrand blieb ebenso ungehört wie der Bürgerprotest gegen Verkehr und Lärm.

Nun versucht Salzburg die Kehrtwende. Die seit 2013 amtierende Regierung aus ÖVP, Grünen und Team Stronach hat sich große Zurückhaltung bei der Genehmigung neuer Flächen auferlegt. Selbst ein so namhafter Konzern wie Spar, der den knapp 40.000 Quadratmeter großen Europark im Westen der Landeshauptstadt betreibt, erhielt für die Erweiterung des Einkaufszentrums eine Absage. Und das, obwohl dazu großteils „nur“ Lagerfläche in Geschäfte umgewandelt worden wäre und der Europark mit 9630 Euro Jahresumsatz pro Quadratmeter zu den erfolgreichsten Shoppingcentern Österreichs gehört. Auch beim Outletcenter in Wals gab es keine Genehmigung zum Ausbau. Die Erhaltung und Stärkung der kleinen Einheiten, der Orts- und Stadtkerne, ist das neue Salzburger Credo, es soll nicht mehr in jedem Dorf ein Einkaufszentrum auf der grünen Wiese entstehen.

»Tamsweg hat nicht nur die Kaufkraft im Ort gehalten, sondern auch ausgebaut«

Wie das konkret geht, zeigt die Lungauer Bezirkshauptstadt Tamsweg. Der Gemeinde mit 5600 Einwohnern ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die Kaufkraft weitgehend im Ort zu halten und diese sogar leicht auszubauen. Das Erfolgsrezept: Neue Kleider-, Drogerie- und Lebensmittelgeschäfte entstanden nicht draußen an der Peripherie, sondern in einem Einkaufszentrum im Stadtzentrum. „Tamsweg ist ein positives Beispiel dafür, wie ein Ortskern gestärkt werden kann“, urteilt Johann Höflmaier, Geschäftsführer der Sparte Handel in der Wirtschaftskammer Salzburg.

Dabei hat alles mit der Angst vor der wachsenden Konkurrenz im Umfeld begonnen. Der Lungauer Wirtschaftsverein – eine seit 1901 bestehende örtliche Genossenschaft, die Geschäftsflächen im Ort besaß und ein Shoppingcenter betrieb – wollte sich Ende der 2000er-Jahre nicht von den Plänen für ein großes Einkaufszentrum und Fachmärkte an der Peripherie an die Wand drängen lassen. Der Druck sei enorm gewesen, erinnert sich Bürgermeister Georg Gappmayer (ÖVP) an die Begehrlichkeiten großer Unternehmen, Geschäfte auf der grünen Wiese am Ortsrand zu errichten. Doch die Marktgemeinde wollte immer eine Stärkung des Ortskerns und kurze Wege zum Einkaufen, die man als Einheimischer zu Fuß erledigen kann. Der Wirtschaftsverein nahm die Sache selbst in die Hand. Er kaufte das Grundstück des ehemaligen Arbeitsamtes und schuf damit eine Erweiterungsmöglichkeit für das bestehende Shoppingcenter im Zentrum. „Wir haben uns überlegt, welche Branchen fehlen, um für die Lungauer attraktiv zu bleiben“, erzählt Wolfgang Wilding, seit September 2011 Geschäftsführer des Wirtschaftsvereins. Drogeriewaren, Textilien, Schuhe oder Büroartikel kamen auf den erweiterten Flächen zum bestehenden Angebot. Gleichzeitig wurden in den Obergeschoßen Wohnungen sowie Räume für Ärzte und Dienstleister geschaffen – inklusive Parkplätze im Innenhof.

Das Konzept ist aufgegangen. Die neue Attraktion macht das gesamte Ortszentrum interessanter, um hier Einkäufe zu erledigen. Dazu haben sich Dienstleister – von der Kosmetikerin über den Arzt bis hin zum Reisebüro und zur Versicherung – angesiedelt, die viele Einheimische regelmäßig besuchen.

„Wir haben es geschafft, weil alle an einem Strang gezogen haben“, ist sich Wilding sicher. Die Politik habe das Projekt unterstützt, der Wirtschaftsverein – immerhin gibt es in der Genossenschaft mehr als 1400 Mitglieder – sich über Investitionen drübergetraut, und die Konsumenten hätten das lokale Angebot gut angenommen. Heute beschäftigt das City Shopping Center mitten in Tamsweg mit seinen rund 20 Einheiten vom großen Supermarkt bis zum kleinen Cafe mehr als 200 Angestellte. Das ist gerade für einen Bezirk, der wie der Lungau mangels großer Betriebe viele Auspendler hat, wichtig.

„Der Lungauer Hauptort Tamsweg verfolgt seit Jahrzehnten eine konsequente Stärkung der innerörtlichen Handelsstrukturen“, lobt das oberösterreichische Beratungsinstitut Cima, das im Auftrag des Landes die Kaufkraftströme und Einzelhandelsstrukturen im Bundesland Salzburg unter die Lupe genommen hat, in seiner aktuellen Untersuchung: „Die Tamsweger Lebensmittel- und Drogeriewarenanbieter schöpfen die Kaufkraft für den kurzfristigen Bedarf in ihrem Einzugsgebiet – von allen betrachteten zentralen Handelsstandorten Salzburgs – am stärksten aus. Gegenüber 2004/2005 konnte dieser Wert um zehn Prozent erhöht werden.“ Auch beim mittel- und langfristigen Bedarf liegt Tamsweg sehr gut.

Mit einer Verkaufsfläche von 1,7 Quadratmetern pro Einwohner liegt der Lungau leicht unter dem Landesschnitt von 1,9 Quadratmetern. Zum Vergleich: Im Salzburger Flachgau – wo es eine sehr hohe Dichte an Möbel-, Textil- und Baumärkten gibt – kommt man pro Einwohner auf knapp drei Quadratmeter Verkaufsfläche. Rund 60 Prozent der von Cima erhobenen Handelsflächen konzentrieren sich auf 13 Standorte im Bundesland.

»Studie bewertet den Kurs gegen Einkaufszentren auf der grünen Wiese positiv«

Die Ergebnisse der Studie dienen der Landesregierung als Argumentationshilfe für ihren restriktiven Kurs gegenüber neuen Verkaufsflächen auf der grünen Wiese. „Wir wollen die Kaufkraft nicht weiter aus den Zentren abziehen“, nennt die für Raumordnung zuständige Landeshauptmann-Stellvertreterin, Astrid Rössler, als Ziel. Allein die Größe der im Frühjahr abgelehnten Projekte beim Europark in der Stadt Salzburg und im Designer Outlet Center in Wals hätte der halben Verkaufsfläche der Salzburger Altstadt entsprochen. In St. Johann wurde ein 13.000 Quadratmeter großes Möbelhaus auf der grünen Wiese abgelehnt.

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