Religionsunterricht: „Wir sind da, wenn es sein muss“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Schauplatz Kundmanngasse: Etwas mehr als die Hälfte der Schüler besucht noch den katholischen Religionsunterricht. Die Freistunde ist als Alternative zu verlockend. Manche fürchten auch Indoktrinierung.

WIEN. Die Atmosphäre ist angenehm im Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium in der Kundmanngasse im dritten Bezirk. Vom gewissen Schulmief ist hier nichts zu spüren. Das historische Gebäude ist außen renoviert und auch im Inneren immer wieder erneuert worden. Gespart musste an nichts werden: Die Halle ist eine lichtdurchflutete Glasgalerie, es gibt hochmoderne EDV-Arbeitsplätze, moderne Möbel. Nur im Lehrerzimmer ist es eng wie in jeder anderen Schule.

Für das Gespräch mit einer „schulfremden Person“ in der Schule mussten die beiden Religionslehrer die Zustimmung der Direktorin einholen, die bereitwillig erteilt wurde. Überhaupt ist das Verhältnis der Religionslehrer zu Kollegen und Direktion gut und freundschaftlich. Wenn man ihnen mit der landläufigen Vorstellung kommt, der Religionsunterricht müsse doch ein Sonderfall in der Schule sein, ein Fach, das besonders leicht oder besonders schwer zu unterrichten sei, an das vielleicht außergewöhnliche Anforderungen gestellt werden, wehren Pater Werner Brahtz und Johannes Ketzer ab und stellen nüchtern fest: „Der Religionsunterricht ist nicht fundamental anders als der übrige Unterricht.“ Aber er findet dennoch unter Ausnahmebedingungen statt: In ihn spielen außerschulische Verhältnisse hinein, nämlich die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, und er ist der Einzige, von dem man sich abmelden kann.

Zuerst Priester, dann Lehrer

Johannes Ketzer sieht seine Rolle gewissermaßen neutral, sein Fach als einen Lehrgegenstand wie andere auch: „Ich wollte immer Lehrer werden, das ist mein Beruf. Am liebsten wäre ich Mathematiklehrer geworden, jetzt unterrichte ich eben Katholizismus.“

Pater Werner vom Oratorium an der Rochuskirche gleich um die Ecke versteht seine Aufgabe anders: „Zuerst bin ich Priester, ein Seelsorger und Kirchenmann. Lehrer wollte ich nie werden und jetzt bin ich es doch. Wie jeder Lehrer habe ich Fragen zu beantworten, manches muss ich aber als meinen Glauben bekennen.“ Drei Lehrer an einer Schule – auch eine Frau ist darunter –, drei verschiedene Konzepte des Unterrichtens, und doch gibt es in einem keinen Unterschied: „Wir haben alle drei dieselbe Zahl von Abmeldungen vom Unterricht.“

Es wird nicht so offen ausgesprochen, aber es ist doch eine schmerzende Wunde: Auch dem Religionslehrer fehlt die Erklärung dafür, warum sich etwa eine Schülerin aus der sechsten Klasse von Religion abmeldet, die aus einem religiösen Elternhaus kommt, in dem das Tischgebet eine Selbstverständlichkeit ist: „Mit der Alternative einer Freistunde können wir eben nicht konkurrieren“, meint Brahtz. Aber er meint eine Trendwende zu spüren: In einer fünften Klasse nehmen plötzlich alle Schüler, die „o. r. B.“ – ohne religiöses Bekenntnis – sind, am katholischen Religionsunterricht teil. Es ist für sie ein Freigegenstand mit Benotung. Pater Werner wünscht sich auch die Einführung des Ethikunterrichts, weil es dann die Konkurrenz der Freistunde für den Religionsunterricht nicht mehr gäbe.

An die Situation, bald einer Minderheit anzugehören, haben sich Pater Werner, Professor Ketzer und ihre Kollegin schon gewöhnt. „Wir sind jedenfalls nahe an der Grenze dazu“, stellt Ketzer nüchtern fest. Etwas mehr als die Hälfte der Schüler in der Kundmanngasse besucht noch den katholischen Religionsunterricht. Das reicht, damit „unser Unterricht in der Klasse stattfindet und nicht in einen anderen Raum ausgelagert werden muss“. Das würde psychologisch natürlich einen Unterschied bedeuten.

Dass es immer weniger Schüler werden, liege nicht nur an der Möglichkeit zur Abmeldung, sondern auch am Faktum, dass es eben immer weniger Katholiken gibt, stellen Brahtz und Ketzer fest. In der Kundmanngasse sind fast alle Religionen der Welt vertreten: Christen, Juden, Moslems, Hindus, Sikhs, Buddhisten. Die zweitgrößte Gruppe nach den Katholiken sind jene o. r. B., gefolgt von den Orthodoxen, da es in der Gegend viele Migranten mit serbischem oder osteuropäischem Hintergrund gibt.

Schüler fehlen

Trotzdem hat der Religionsunterricht eine stabile und anerkannte Stellung in der Schule. „Das Einzige, was ihm fehlt, sind die Schüler“, merkt Ketzer sarkastisch an. „Aber alle sind nett zu uns.“ Auch von der Administration werde der Unterricht unterstützt. Jeden Freitag in der Früh gibt es in der Bibliothek eine kurze Gebetsandacht. Es findet eine Segnung des Schuladventkranzes statt, am Ende des Schuljahres wird eine ökumenische religiöse Feier veranstaltet: „Für viele Kinder ist das die einzige Gelegenheit, wo sie überhaupt etwas Religiöses erleben.“

Welchen Platz hat die Religion in den Köpfen von jungen Leuten? „Viele sind religiöser und religionsfreundlicher, als sie sich geben. Sogar auch wieder kirchenfreundlicher“, konstatiert Ketzer: „Aber sie haben kein Bewusstsein dafür, darüber auch Rechenschaft abzulegen.“ In vielen Köpfen stecke auch noch die Vorstellung, der Religionsunterricht sei Indoktrination. „Als höchstes Kompliment gilt, wenn einem gesagt wird: Sie haben uns auch etwas über andere Religionen erzählt.“

Dass der Religionsunterricht bedeutsam für Schule und Schüler sei, davon sind die beiden Professoren überzeugt: „Wir wollen den Schülern nichts aufdrängen. Wir sind aber offen für ihre Fragen – und wir sind da, wenn es sein muss. Die Schüler wissen das.“

www.grg3kund.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2009)

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