Die Wirtschaft schwächelt, die Arbeitslosigkeit in Wien steigt stark. Gegen eine Konjunkturflaute kann die Stadt wenig machen. Dafür aber viel im Bereich der Bildung.
Wien. Die Arbeitslosigkeit steigt. Im Juli waren österreichweit um 7,2 Prozent mehr Menschen ohne Job als vor einem Jahr. In Wien ist die Situation sogar noch deutlich dramatischer. Hier stieg diese Zahl um fast 19 Prozent auf 119.000 Arbeitslose, womit Wien österreichweit der negative Spitzenreiter ist.
Regionalforscher Peter Mayerhofer vom Wifo (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung) arbeitet gerade an einer Studie, welche die Wettbewerbsfähigkeit Wiens im Vergleich mit 50 ähnlichen europäischen Metropolen erhebt. Seine Diagnose: „Die Arbeitsplatzsituation verschlechtert sich demografisch.“ Das bedeutet: Die Bevölkerung in Wien wächst stark. Das generelle Wirtschaftswachstum ist aber zu schwach, um die Arbeitsplätze im selben Ausmaß zu erhöhen. Denn bei den Kenndaten sei Wien durchaus gut aufgestellt, so Mayerhofer. Die Details.
Seit den 90er-Jahren hat Wien ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von rund zwei Prozent, „was nicht schlecht ist“, meint der Wirtschaftsforscher. Damit gehört Wien in der Studie zu den zehn Städten mit den höchsten Wachstumsraten. Allerdings ist die Zahl der Wiener im erwerbsfähigen Alter seit dem Jahr 2000 wegen der Zuwanderung um 13,3 Prozent gestiegen. Obwohl es in Wien rund 974.000 Beschäftigte (also Arbeitsplätze) gibt, konnten nicht genug neue Arbeitsplätze geschaffen werden: „Wien kann sich nicht von internationalen Entwicklungen abkoppeln“, meint Mayerhofer.
In Zahlen: In der Vergangenheit stand einem langjährigen durchschnittlichen Plus von 0,7 Prozent an neuen Jobs jährlich ein Plus von zwei Prozent an neuen Arbeitskräften gegenüber. Nur: Seit Beginn der Krise (2008) habe es, ausgenommen 2010, kein wirkliches Wachstum mehr geben, so Mayerhofer – weshalb die Arbeitslosigkeit in Wien seitdem gestiegen ist.
Wobei ein eigentlich positiver Aspekt die Situation verschärft. Die Wiener Wirtschaft besitzt eine hohe Produktivität. Deshalb sind die Lohnstückkosten in Wien unter dem Strich auf Augenhöhe mit Bratislava – obwohl in Wien doppelt so hohe Löhne gezahlt werden. Im Gegenzug braucht die Wiener Wirtschaft wegen der hohen Effizienz ein sehr hohes Wirtschaftswachstum, um neue Jobs zu schaffen. Und das ist seit 2008 nirgendwo zu sehen. Dazu kommt: 2011 ist Österreichs Übergangsregelung für den EU-Arbeitsmarkt (Arbeitnehmerfreizügigkeit) ausgelaufen. Seitdem dürfen Bürger der 2004 der EU beigetretenen Länder in Österreich arbeiten – was eine starke Zuwanderung von Arbeitskräften nach Wien, vor allem aus Ungarn, Tschechien und Polen, bewirkt hat. Und 2014 lief die Übergangsfrist für Rumänien und Bulgarien aus, während die Pensionsreform des Bunds die Menschen laut Mayerhofer länger in Beschäftigung hält.
Chancen und Risken
Trotzdem sieht der Wirtschaftsforscher die Wiener Situation nicht so negativ, wie sie klingt: Die Wiener Arbeitslosigkeit liegt im Vergleich mit den anderen EU-Metropolen trotz starken Anstiegs „günstiger als im Durchschnitt“. Und: „Dass Wien für Zuwanderer attraktiv ist, ist ein riesengroßer Vorteil.“ Denn Zuzug sei die einzige Möglichkeit gegen die drohende Überalterung, die natürlich der Wirtschaft schade: „Das ist aber nur ein Vorteil, wenn Integration erfolgreich ist.“
Welche Lösungen gibt es? Die Konjunktur kann Wien nicht beeinflussen, dafür aber Ausbildung, Weiterbildung und Spezialisierung. Immerhin sei die Stadt auch für die Pflichtschulen verantwortlich, so Mayerhofer. Eine verstärkte (Weiter-)Bildung schütze oft vor Arbeitslosigkeit und unterstütze den Strukturwandel (weg von Industrie/Produktion hin zu Dienstleistung und wissensbasierten Technologien). Denn einfache Jobs, für die ein Hauptschulabschluss oder ein Polytechnikum reichen, werden drastisch reduziert. Dafür sucht die Wirtschaft hoch spezialisierte Experten im Bereich Informationstechnologie, Unternehmensberatung, Design, Forschung etc. Deshalb müsse Wien die Basis für migrantische Experten, also für eine gelungene Integration, bereits im Kindergarten sicherstellen, Stichwort: Sprache.
In den Schulen könnten z. B. mehr Stützlehrer eingesetzt werden, damit Kinder mit Sprachschwierigkeiten oder aus sozial schwierigen Verhältnissen die Schule nicht abbrechen oder nur einen niederen Abschluss machen, schlägt Mayerhofer vor. Drop-out-Jugendliche müsse man „bereits in der Schule erwischen, damit sie zumindest die Grundkompetenzen beherrschen“. Ein Schritt in die richtige Richtung, meint der Wirtschaftsforscher, sei der „Qualifikationsplan Wien“. Damit soll die Zahl der Schüler mit maximal Pflichtschulabschluss bis 2020 messbar reduziert werden.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2015)