TTIP-Geheimhaltung: Wien verärgert

EU chief negotiator Garcia Bercero reacts at a news conference after the tenth round of EU-US trade negotiations for the TTIP in Brussels
EU chief negotiator Garcia Bercero reacts at a news conference after the tenth round of EU-US trade negotiations for the TTIP in BrusselsREUTERS
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Die Kommission hat das letzte Verhandlungspapier nicht an die Mitgliedstaaten geschickt. Dieses kann nur in einem Leseraum in Brüssel eingesehen werden.

Wien/Brüssel. „Die Transparenz ist wiederherzustellen.“ Deutlicher könnten die Worte aus dem Büro des Bundeskanzlers kaum sein. Anlass der Erregung: das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA. Von Beginn an war die mangelhafte Informationspolitik über die Gesprächsfortschritte zwischen Brüssel und Washington einer der größten Kritikpunkte am Handelspakt. Nun rückt ebendieses Thema zurück ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit.

Nicht ohne Grund – hatte doch die Kommission, die im Auftrag der Mitgliedstaaten mit den USA verhandelt, die Geheimhaltung zuletzt wieder verschärft: Der vertrauliche Bericht über die zehnte Gesprächsrunde, die im Juli in Brüssel stattfand, wurde nicht – wie davor üblich – an die EU-Hauptstädte verschickt. Stattdessen können Beamte und Politiker das Dokument nur in einem sicheren Leseraum in Brüssel einsehen.

Die Kommission verteidigt das Vorgehen. In der Vergangenheit seien zu viele brisante Details enthüllt worden, heißt es. Von Vertrauensbruch ist die Rede. „Dieser Bericht enthält auch taktische Überlegungen und unsere interne Bewertung von US-Positionen“, erklärt der Österreicher Richard Kühnel, Vertreter der Behörde in Deutschland. Dies zu veröffentlichen, würde die Verhandlungsposition der EU schwächen – was „bei allem Interesse um größtmögliche Transparenz verhindert“ werden müsse.

Unmut über Maßnahme

Doch mehrere Mitgliedstaaten – neben Österreich etwa Deutschland, Spanien oder Frankreich – wollen sich damit nicht zufriedengeben. Sie äußerten im Handelsausschuss des Europäischen Rates ihren Unmut über die Maßnahme; Transparenz sei ein „sehr großes Anliegen“.

Angaben der Kommission zufolge soll die Vorkehrung aber ohnehin nur temporärer Natur sein. Das betonte eine Sprecherin auf Nachfrage der „Presse“. Derzeit werde mit den Mitgliedstaaten daran gearbeitet, ein eigenes Sicherheitssystem zu etablieren, um die Dokumente auszutauschen. „Wir hoffen, dass bis Jahresende eine Lösung gefunden ist“, so die Sprecherin. Handelskommissarin Cecilia Malmström – sie ist seit vergangenem Herbst im Amt – hatte von Beginn an versprochen, die Transparenz bei den TTIP-Verhandlungen zu erhöhen. Die Schwedin ließ mehrere Verhandlungspapiere veröffentlichen – ein noch unter ihrem Vorgänger, Karel de Gucht, undenkbares Vorgehen. So sollte der massive Widerstand gegen das Abkommen, der sich besonders in der Bevölkerung Deutschlands und Österreichs Bahn bricht, eingedämmt werden.

Nun bleibt die Kommissarin trotz der neuerlich aufkeimenden Kritik optimistisch: Geht es nach den Plänen ihrer Behörde, soll es schon bis zum nächsten Sommer ein Rahmenabkommen geben. Das EU-Parlament, das seinen Sanktus zu dem Pakt geben muss, könnte 2018 darüber abstimmen.

Noch aber gibt es zahlreiche Hürden auf dem Weg zu einer Einigung: So liegt etwa das schwierige Thema Investorenschutz derzeit auf Eis. In einer Resolution hatte sich ein Großteil der EU-Abgeordneten Anfang Juli dafür ausgesprochen, Streitfälle mit Investoren nicht vor privaten Schiedsstellen, sondern öffentlich berufenen Richtern zu verhandeln. Die Sache soll bei den nächsten Verhandlungsrunden im Oktober und Dezember angesprochen werden.

Unter TTIP-Kritikern sorgt noch ein weiteres Thema für Unmut. So werden die optimistischen Prognosen der Kommission, die konjunkturellen Aufschwung und hunderttausende Arbeitsplätze versprechen, zumindest relativiert. Eine jüngste Studie zu den Auswirkungen des Abkommens auf die Wirtschaftsentwicklung dies- und jenseits des Atlantiks stammt von dem in London ansässigen Centre for Economic and Policy Research. So soll ein prognostizierter BIP-Zuwachs von 0,2 bis 0,4Prozent in den USA den Konsum um lediglich 0,2 bis 0,4 US-Dollar am Tag ankurbeln, in der EU führten 0,3 bis 0,5 Prozent Wachstum zu 0,1 bis 0,2 Euro mehr Konsum.

AUF EINEN BLICK

Die EU-Kommission verschärft nach Enthüllungen zu den Verhandlungen über das TTIP-Handelsabkommen mit den USA die Geheimhaltung. So wurde der vertrauliche Bericht über die zehnte Gesprächsrunde mit den Amerikanern nicht mehr an die Mitgliedstaaten verschickt, sondern ist für Beamte und Politiker nur in einem sicheren Leseraum in Brüssel einsehbar. Die Entscheidung wird scharf kritisiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2015)

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