Sind ARD und ZDF noch zu retten?

Die beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehsender in Deutschland betreiben gegenüber ihren privaten Konkurrenten eine Strategie der nachholenden Modernisierung.

Diese im Titel gestellte, keineswegs provokative Frage ist der Titel eines jüngst erschienenen Sammelbandes des Hamburger Medienökonomen Johannes Ludwig. Und dass es „Tabuzonen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ – so der Untertitel – gibt, weiß nicht nur der Kenner und Insider von ARD, ZDF und auch ORF, sondern eigentlich jeder aufgeklärte Zeitungsleser. Bereits 1976 behauptete der „Spiegel“ bis heute presserechtlich unwidersprochen, dass der Filmhändler Leo Kirch „schon jetzt der heimliche Herrscher auf dem Mainzer Lerchenberg“ und dass das ZDF „längst eine Spielart des kommerziellen Fernsehens“ sei. Und trotzdem: Was die Journaille über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ungestört behaupten darf, gilt in der akademisch-universitären Forschung über Radio und Fernsehen fast immer noch als Tabu.

Fakten statt Fiktion: Guckt man sich langfristige Programmveränderungen in ARD und ZDF an, dann zeigen viele empirische Untersuchungen für die letzten zwanzig Jahre, dass die abendlichen TV-Nachrichtensendungen unpolitischer und boulevardhafter geworden sind, dass Auslandssendungen und Auslandsberichte drastisch abgenommen haben, dass das Sendeangebot für die rund 17 Millionen in Deutschland lebenden Bürger mit Migrationshintergrund stark reduziert und dass schließlich auch der Umfang von Kultursendungen abgebaut wurde. Konkret: Über rund 80 Länder in Afrika und Lateinamerika, das sind rund eine Milliarde Menschen oder über fast zwanzig Prozent der Weltbevölkerung, berichtet die ARD aus nur vier Studios; zwischen 1992 und 2007 wurden bei allen Orchestern der ARD 309 Planstellen abgebaut; geschätzten jährlichen Gebühreneinnahmen von 150 Millionen Euro von türkischen Haushalten in Deutschland stehen lediglich geschätzte jährliche Radioprogrammkosten von einer Million mit spezifisch türkischen Inhalten gegenüber.

Schleichwerbung als System

Fakten statt Fiktion: Vor vier Jahren deckte der Journalist Volker Lilienthal auf, dass in der ARD-Vorabendserie „Marienhof“ über einen Zeitraum von zehn Jahren systematisch verbotene Schleichwerbung gesendet wurde. Was passierte? Kleinere Köpfe rollten, und dann Übergang zur Tagesordnung. Was aber, wenn Schleichwerbung, Sponsoring, Product-Placement, Ausstattungs- und Requisiten-Placement, Verbal Statements, Themensponsoring und Logo-Morphing Tradition der Öffentlich-Rechtlichen sind, wenn es eben nicht um Ausnahmen, sondern um ein System geht? Konkret: Schon 1965 entließ das ZDF seinen Programmdirektor Ulrich Grahlmann wegen „anstaltsschädigenden, vertragswidrigen Gesamtverhaltens“, weil dieser undurchsichtige Geschäfte mit dem Medienkonzern von Leo Kirch in Höhe von 15 Millionen DM getätigt haben soll; 1992 wurde Jochen Filser, Unterhaltungschef des Hessischen Rundfunks, in Zusammenhang mit Schleichwerbung in den Sendungen „Holger's Waschsalon“ und „Zeil um Zehn“ entlassen; 2005 behauptete die Fifa in der „Financial Times Deutschland“ bislang ungestraft, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk deswegen den Zuschlag für die WM 2010 bekommen habe, weil es dort keine journalistische Unabhängigkeit gebe.

ARD und ZDF stecken seit Langem in einer selbstverschuldeten Politikklemme! Im Außenverhältnis macht die EU-Kommission seit Jahren Druck auf deutsche Bundesregierungen, dass die Zwangsgebühren für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland rechtswidrig, weil wettbewerbswidrig gegenüber privatwirtschaftlich handelnden TV-Veranstaltern seien. Bundesregierung und der öffentlich-rechtliche Rundfunk verweisen demgegenüber darauf, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen Kulturauftrag habe und der Grundversorgung dienen müsse. Soweit das Außenverhältnis. Im Innenverhältnis jedoch tun ARD und ZDF seit vielen Jahren genau das Gegenteil. Hier betreiben sie gegenüber ihren privatwirtschaftlichen Konkurrenten eine Strategie der nachholenden Modernisierung und argumentieren wie diese: Quote, Quote und nochmals Quote; betriebswirtschaftliche Rationalität statt Kulturauftrag; Outsourcing zur Einsparung von Produktions- und Personalkosten; Optimierung von Werbeauftritten zur Minimierung von Streuverlusten; Quantität statt Qualität; Markterweiterung.

Kulturauftrag und Grundversorgung

Außen hui, innen pfui: Dieser Spagat nähert sich aus mehreren Gründen seinem Ende. Erstens lassen sich die Wettbewerbshüter in Brüssel nicht unendlich an der Nase herumführen, zweitens brechen allen TV-Veranstaltern die jugendlichen Zuschauer so enorm weg, dass dieses Medium keine sonderlich rosigen Zukunftsaussichten mehr hat, und drittens bemerkt auch der dümmste/schlaueste TV-Zuschauer bei der zunehmenden Programmkonvergenz zwischen privaten und öffentlichen Anbietern immer weniger Alleinstellungsmerkmale für den einen oder den anderen.

Sind ARD und ZDF noch zu retten? ARD und ZDF sollten nur dann gerettet werden, wenn sie für jedermann erkennbar zu ihrem Kulturauftrag und zu einer Programmgestaltung im Sinne der Grundversorgung zurückkehren. Doch weil sie wie viele Großinstitutionen wahrscheinlich zu Lernprozessen unfähig sind, ist ihre verbleibende Lebenszeit auf maximal zehn Jahre zu veranschlagen. Danach dürften die Rosinenstücke der ARD privatisiert werden. Und genau darauf deutet die seit dem Frühjahr 2008 praktizierte Kooperation zwischen dem öffentlich-rechtlichen WDR und dem gefräßigen Mediengiganten WAZ aus Essen im Bereich des Online-Fernsehens hin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2009)

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