Salzburger Festspiele: Iphigénie in der Flüchtlingshölle

(c) Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus
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Bei der Wiederaufnahme von Glucks „Iphigénie en Tauride“ rühren Cecilia Bartoli, Christopher Maltman und Rolando Villazón in passend trister Szenerie.

Er könne doch kein Violinkonzert dazu spielen lassen, wenn der Sohn seine Mutter erschlage, hat Richard Strauss einmal angesichts der dissonanten Klangmassen seiner „Elektra“ festgestellt. Hätte Strauss auch das Schicksal von Elektras Schwester Iphigenie komponiert, dann wäre diese Oper „mit lauter hysterischen, schreienden und selbstgefällig überzeichneten Menschen, oder besser gesagt Ungeheuern, bevölkert gewesen“, ist der Regisseur Moshe Leiser laut Interview im Programmheft überzeugt. Mit seinem Partner, Patrice Caurier, hat er für die diesjährigen Pfingstfestspiele „Iphigénie en Tauride“ von Christoph Willibald Gluck inszeniert, die Produktion hat nun ihre sommerliche Wiederaufnahme erlebt: quittiert mit viel Jubel, in den sich einige wütende Buhs für das Regieteam gemischt haben.

Flammend rotes Licht

„Wo ein Komponist wie Strauss beeindrucken will, will Gluck berühren“, legt Leiser nach. Tatsächlich scheinen Gluck und Strauss durch mehr getrennt als bloß eineinhalb Jahrhunderte Musikgeschichte. Denn Gluck ist ein Meister des Weglassens. Seinen Reformbestrebungen weg von der Ornamentik des Barocks treu, sucht er den Ausdruck mit möglichst geringen, aber treffenden Mitteln. Gewiss gibt es auch große Effekte wie die plötzlich hereinbrechende Gewitterszene zu Beginn und den gespenstischen Chor der Erinnyen. Beim Sturm verlässt sich das Regieduo vor allem auf die klaustrophobische Atmosphäre jenes trostlosen Flüchtlingsbunkers (Bühne: Christian Fenouillat), in dem Iphigénie und die Priesterinnen ihr Dasein bei den fremdenfeindlichen Taurern fristen müssen, die wieder Michael Kraus als im Kern von Angst zerfressener Thoas im Nadelstreif anführt. Der zugespielte Donner verdeutlicht, dass Naturgewalten unheimlicher wirken, wenn man sie nur hört – und das Krachen erinnert durchaus an Bombenangriffe, welche die in diesem Lager Eingepferchten traumatisiert haben mögen.

Ein Teil des Publikums will dergleichen weder sehen noch wahrhaben, der Rest stellt betroffen fest: Assoziationen zu alten Bildern aus Guantánamo und neuen aus Traiskirchen werden szenisch nicht forciert, liegen aber auf der Hand.

Wird dann Oreste von den Rachegöttinnen gepeinigt, lassen sich Leiser/Caurier nicht lumpen. Bedrohlich streckt der scharf charakterisierende Coro della Radiotelevisione Svizzera in flammend rotem Licht aus allerlei Öffnungen die Hände nach dem Muttermörder aus, ja sogar eine Vision der toten Frau Mama steigt blutüberströmt aus dem Souffleurkasten empor – das hätte wohl nicht sein müssen. Etwas zu viel des Guten, nämlich an blanker Stimmkraft, gibt da auch Christopher Maltman, wie an den folgenden Pianopassagen hörbar wird. Doch bildet er als betont kernig-viriler und doch differenzierter Oreste ein großartiges Pendant zur Iphigénie von Cecilia Bartoli. Bis auf wenige Phrasen, die auch im Vortrag feurigen Nachdruck brauchen, singt sie die leidende, an ihrem Schicksal fast verzweifelnde Atridentochter wieder mit ganz versammeltem, innigem Pianoton: das vokale Zentrum dieser im Ganzen höchst geschlossenen, eindringlichen Produktion.

Dabei greifen Bartoli im Graben auch I Barocchisti sensibel unter die Arme. Die Zeichengebung von Diego Fasolis mag manchmal etwas harsch wirken, aber mit seinem Orchester versteht er sich auf Nuancen – etwa die beklemmend wimmernden, „Tremulando“-Streicherakkorde, die imaginierte, erinnerte Stimmen hörbar machen.

Impulsiver Pylade

Das Zarte, Verinnerlichte dominiert hier – und eine weihevolle Schlichtheit, die ihren bewegenden Höhepunkt in der Opferszene erreicht. Da muss Oreste die Kleidung ablegen, wird von den Priesterinnen gewaschen und schreitet nackt zur Schlachtbank, wo seine Schwester das Messer führen soll, ohne dass die beiden sich noch erkannt hätten: Ecce homo.

Als den Freund mehr als sich selbst liebender, schließlich die militärische Rettung herbeiholender Pylade ist nach Topi Lehtipuu zu Pfingsten nun Rolando Villazón im Einsatz. Die Fans jubeln über seine impulsive Interpretation des selbstlos-edlen Gefährten, obwohl oder gerade weil manchmal stimmliche Blessuren unüberhörbar sind. Zuletzt öffnet sich das große eiserne Tor, wie es in Claus Guths aktuellem „Fidelio“ nicht hat sein dürfen: Das Meer ist die nächste Herausforderung für die Befreiten.

Festspiel-Finale

Strauss' „Rosenkavalier“ kehrt in Harry Kupfers Erfolgsproduktion wieder (23., 26., 28. 8.), konzertant ist noch einmal „Werther“ zu erleben (22. 8.), dann unter Muti Verdis „Ernani“ (27., 29. 8.). Im Konzert interpretieren die Wiener Philharmoniker Mahlers Neunte mit Barenboim, der vor 50 Jahren in Salzburg debütiert hat (22., 23. 8.), bevor Semyon Bychkov Brahms' Dritte und Franz Schmidts rare Zweite dirigiert (30. 8.). Überall sind Restkarten erhältlich. Übertragen werden am 22. 8. „Werther“ (Ö1, 19.30) und „Fidelio“ (3sat, 20.15).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2015)

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