Wie Schweden mit Flüchtlingen umgeht

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Das skandinavische Land nimmt in der EU pro Kopf die meisten Flüchtlinge auf. Die Versorgung der Schutzsuchenden steht auf hohem Niveau. Doch zugleich erhalten die rechtspopulistischen Schwedendemokraten immer mehr Zulauf.

Stockholm. Schweden nimmt mit großem Abstand die meisten Flüchtlinge in der EU auf – jedenfalls pro Kopf gerechnet. Allein im letzten Jahr kamen laut Eurostat 7,8 Asylneubewerber in Schweden auf 1000 Einwohner. Im absolut gesehen größten Aufnahmeland Deutschland waren es noch 2,1. Insgesamt kamen im vergangenen Jahr 81.000 neue Flüchtlinge in das nordische Land mit seinen 9,6 Millionen Einwohnern. Der Großteil der Flüchtlinge stammt aus dem Bürgerkriegsland Syrien oder der Militärdiktatur Eritrea. Zugleich bleibt die Stimmung mehrheitlich einwanderungsfreundlich.

Das Land hat bereits seit den 1980er-Jahren mehrere große Einwanderungswellen hinter sich. Auch beim letzten Irak-Krieg hat etwa die nahe Stockholm liegende Stadt Södertälje mehr Iraker aufgenommen als die USA insgesamt. In Schweden hatten bereits 2013 insgesamt 20 Prozent aller Einwohner einen ausländischen Hintergrund. Flüchtlinge werden in Schweden oft politisch korrekt als „Neuankömmlinge“ bezeichnet. Einwanderer als „im Ausland Geborene“.

System funktioniert

In Dörfern, in die Flüchtlinge zur Erstaufnahme ankommen, geben Schüler und Pensionisten freiwillig Schwedischunterricht. Neugier überwiegt die Angst vor Fremden. Ab Herbst will die rot-grüne Regierung Beschäftigungsangebote für die Wartenden einführen. Ohne Aufenthaltsgenehmigung gibt es keine Arbeitserlaubnis und keine regulären Schwedischkurse.

Trotz der großen Zahl von Flüchtlingen funktioniert das System nach wie vor. Ankommende Flüchtlinge, etwa in Stockholm, schlafen übergangsweise in kleinen Sechsbettzimmern. Jeder Neuankömmling wird mit abgepacktem Bettzeug und Hygieneartikeln empfangen. Pro Tag erhält ein alleinstehender Asylbewerber 24 Kronen (2,50 Euro). Für Personen mit Partner gibt es je 19 Kronen, für Kinder bis zum 17. Lebensjahr je zwölf Kronen. Verpflegung und Bettplatz werden von der nationalen Einwanderungsbehörde gratis zur Verfügung gestellt. Diese entscheidet auch darüber, wo die Flüchtlinge zunächst hinkommen.

Persönlicher Berater

Wer als Flüchtling anerkannt wird, nimmt am Etablierungsplan teil. Zwei Jahre lang bekommt er einen persönlichen Integrationsberater, Sprachkurse, Berufspraktika, Schulungen. Dazu gibt es knapp 6500 Kronen im Monat plus Wohngeld im Bedarfsfall. Allerdings schafft es nur jeder vierte Flüchtling, nach den zwei Jahren eine Arbeit zu finden. Insgesamt ist der Beschäftigungsgrad von anerkannten Flüchtlingen in Schweden aber über dem EU- und OECD- Durchschnitt.

Im weltoffenen Schweden sind Flüchtlinge mehrheitlich erwünscht. Eine breite Koalition aus Linksparteien, bürgerlichen Parteien und Medien, einschließlich der Boulevardzeitungen, wirbt offen für die menschliche Aufnahme von Flüchtlingen. Doch auch in Schweden mehrt sich der Widerstand. So gab es vereinzelte Brandanschläge auf Flüchtlingsheime durch rechtsextreme Splittergruppen. Die einwanderungskritischen Schwedendemokraten (SD) erhalten in Umfragen inzwischen bis zu gut 25 Prozent und wären damit erstmals die stärkste Partei Schwedens. 2010 waren es noch 5,6 Prozent. Doch die bürgerlichen Partien und die linke Regierung wollen die großzügige Einwanderungspolitik nicht ändern. Das alternde Schweden plant, sich so zu verjüngen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2015)

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