Der Euro, eine Maschine zur Vernichtung des Wohlstands?

Von Tag zu Tag wird klarer, dass die Eurozone eine Fehlkonstruktion ist. Und deshalb bleibt, wie sie ist.

August 1997, die Europäische Union bereitet mit einiger Begeisterung auf die Einführung des Euro vor. Nur ein amerikanischer Wirtschaftsnobelpreisträger namens Milton Friedman hält das für keine gute Idee. Er schreibt einen akademischen Aufsatz, „The Euro: Monetary Unity To Political Disunity?“, über die Frage, ob der Euro letztlich die „Vereinigten Staaten von Europa“ herbeiführen würde. Friedman zweifelt daran sehr: „Ich glaube, dass die Einführung des Euro den gegenteiligen Effekt haben wird. Sie wird politische Spannungen verschärfen, indem sie divergente Schocks, die durch Änderung der Wechselkurse leicht hätten gemildert werden können, zu umstrittenen politischen Themen macht [. . .]. Monetäre Einheit, die unter ungünstigen Bedingungen eingeführt wird, wird sich als Hindernis für die politische Einheit erweisen.“

Heute, 18 Jahre später, wissen wir: Friedman hatte absolut recht. Und die große Mehrheit jener Ökonomen, Politiker und Medienmenschen, die Friedman damals als spinnerte Spaßbremse verhöhnt haben („Mülltonn-Friedman“), haben sich geirrt. Dank einer kollektiven Amnesie, die Regierungskabinette, Universitätsfakultäten und Zeitungsredaktionen erfasst zu haben scheint, findet es heute freilich niemand für angemessen, die Fehler von damals wenigstens auch nur einzugestehen. Schwamm drüber, sozusagen – was geht uns unser Unsinn von gestern an? Auf die Vergesslichkeit des Publikums ist Verlass.

„Der Euro ist vielleicht eine der größten wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen des vergangenen Jahrhunderts – und wenn nicht schnell etwas passiert, wird er Europa zerstören . . . Der Euro hat sich eben nicht als Wohlstandsmaschine, sondern als Wohlstandsvernichtungsmaschine erwiesen. In mehr als der Hälfte aller Mitgliedsländer der Währungsunion liegt die Wirtschaftsleistung heute unter dem Niveau des Jahres 2007. Die europäischen Staaten mit einer eigenen Währung dagegen stehen heute alle besser da als damals.“ Zu diesem ziemlich unmissverständlichen Urteil kamen jüngst nicht etwa H.-C. Strache oder Marine Le Pen, sondern die linksliberale Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“, gemeinhin eher als Sturmgeschütz der europäischen Integration bekannt.

Wohlstandsvernichtungsmaschine – wenn heute ein angesehenes linksliberales Blatt zu einem noch härteren Urteil als seinerzeit Friedman kommt, dann ist es ernst. Und zwar, ganz wie Friedman vorhergesehen hat, nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch. Das Verhältnis Frankreichs zu Deutschland, Fundament der europäischen Friedensordnung seit 1945, ist ob der Griechenland-Krise zum ersten Mal ernsthaft beschädigt, die Wahrscheinlichkeit eines britischen Auszugs aus der EU ist größer als jene des Verbleibs, in Finnland wird der Euro ernsthaft infrage gestellt, und Deutschland wird in weiten Teilen der Union dargestellt, als plante Frau Merkel die Errichtung eines Vierten Reichs und der Wehrmacht als Exekutor der Troika.

Doch das Unions-Europa reagiert auf dieses bedauernswerte, aber beim besten Willen nicht mehr bestreitbare Faktum mit einem „Weiter so“, glaubt mit ein paar Bastelarbeiten am Design der Eurozone diese überlebensfähig gemacht zu haben (ein weiterer Irrtum), und zeigt damit eine beachtliche Unfähigkeit zu lernen und sich zu adaptieren.

Es braucht keine Glaskugel, um absehen zu können, welche Folgen diese Starrheit haben wird. Jene erheblichen Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Eurostaaten, die zentrale Auslöser des Beinahezusammenbruchs der Einheitswährung waren, werden nicht verschwinden, sondern auch zukünftig immer wieder Verwerfungen und krisenhafte Episoden verursachen. Das wird Wachstum kosten, Arbeitslosigkeit erzeugen und unser aller Wohlstand belasten.

Man kann das als Preis betrachten, der für die „immer engere Union“ der römischen Gründungsverträge der EU zu entrichten ist – den zu entrichten aber immer weniger Europäer bereit sind. Dem „Weiter wie bisher“ der europäischen Rettungspolitik dürfte die Legitimationsbasis längst abhandengekommen sein.

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Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2015)

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