Der Mann, der in einem französischen Zug offenbar ein Blutbad anrichten wollte, ist als radikaler Islamist eingestuft.
Nach den Schüssen in einem Thalys-Zug gehen die Ermittler Hinweisen auf einen islamistischen Hintergrund nach. Der festgenommene 25-Jährige Marokkaner war von den spanischen Behörden als "potenziell gefährlich" eingestuft worden und soll nach Syrien gereist sein. Er selbst bestritt im Verhör jegliche Terror-Absichten.
Der mit einer Kalaschnikow und einer Pistole Bewaffnete hatte nach Angaben der Behörden am Freitag im Hochgeschwindigkeitszug zwischen Brüssel und Paris mehrere Schüsse abgegeben. Fahrgäste, darunter zwei US-Soldaten, überwältigten.
Der Verdächtige sagte den Ermittlern, er habe die Waffen in einem Park in Brüssel gefunden. Der Mann sei erstaunt über den Vorwurf des Terrorismus, sagte die Anwältin Sophie David, die ihn nach eigenen Angaben zu Beginn seines Gewahrsams betreute, am Sonntag dem Sender BFMTV. Seine Erklärung für den Vorfall: Er wollte Passagiere im Thalys erpressen, anschließend ein Fenster einschießen und dadurch flüchten. Er bestreitet demnach auch, geschossen zu haben - die Kalaschnikow habe nicht funktioniert. Auch eine Reise in die Türkei und nach Syrien bestritt er, wie David der Zeitung "Le Parisien" sagte.
Die französischen Behörden sind zum Motiv des Manns bisher zurückhaltend. Nach Angaben von Innenminister Bernard Cazeneuve hatten die spanischen Behörden den Mann aber wegen seiner Zugehörigkeit zur radikal-islamistischen Szene gemeldet. Von 2007 bis 2014 lebte er nach Aussagen dortiger Ermittler in Spanien, erst in Madrid und dann in Algeciras im Süden. Der Marokkaner wurde mehrfach wegen des Verdachts des Drogenhandels festgenommen.
Wie die spanische Presse am Sonntag unter Berufung auf Polizeikreise berichtete, radikalisierte er sich in Spanien und wurde 2012 als "potenziell gefährlich" eingestuft. Zuletzt soll er in Belgien gelebt haben, nach Aussage der Anwältin bezeichnete er sich als obdachlos.
US-Soldaten: "Schnappen wir ihn"
Die beiden US-Soldaten und ein befreundeter Student, die den Mann im Zug überwältigten, werden nun als Helden gefeiert. Sie berichteten, sie hätten sich sofort auf den mit einer Kalaschnikow, einer Pistole und einem Teppichmesser bewaffneten Mann geworfen. "Ich drehte mich um und sah einen Mann mit einer Kalaschnikow hereinkommen. Meine Freunde und ich duckten uns und dann sagte ich: 'Schnappen wir ihn'", berichtete Alek Skarlatos über die Geschehnisse vom Freitag. Der 22-jährige Angehörige der US-Nationalgarde, der kürzlich in Afghanistan diente, sagte, seine Freunde Spencer Stone und Anthony Sadler hätten sich auf den Angreifer geworfen. Im Handgemenge sei Stone, der in der US-Luftwaffe diente, mit einem Messer am Hals und an der Hand verletzt worden.
"An diesem Punkt tauchte ich auf und packte seine Waffe und fing an, ihm ins Gesicht zu schlagen, bis er bewusstlos wurde", sagte Skarlatos im britischen Rundfunksender BBC. Sadler sagte dem französischen Sender BFMTV, der Angreifer habe "keine Chance" gehabt. "Er sagte uns nur, wir sollten ihm sein Gewehr zurückgeben. 'Gebt mir mein Gewehr zurück! Gebt mir mein Gewehr zurück!' Wir schlugen ihn aber weiter, stellten ihn ruhig und das war's."
Der US-Sender CNN verbreitete ein Video, das den Schützen mit nacktem Oberkörper und gefesselten Armen auf dem Boden des Zugs zeigen soll. "Wir haben alle extrem Glück gehabt", betonte der britische Geschäftsmann Chris Norman. "Ich glaube, dass seine Waffe eine Ladehemmung hatte." Der amerikanische Soldat Spencer Stone wurde mit einem Teppichmesser verletzt. Ein Schuss traf einen Franko-Amerikaner an seinem Platz. Beide schweben nicht in Lebensgefahr.
Lob von Obama und Hollande
US-Präsident Barack Obama lobte, die Passagiere hätten mit ihren "heldenhaften Taten" möglicherweise eine weitaus schlimmere Tragödie verhindert. Frankreichs Staatschef François Hollande lud sie für die kommenden Tage in den Elyseepalast ein, während französische Medien ihnen bereits den Ehrentitel "Helden des Thalys" verliehen. Und auch NATO-Oberbefehlshaber Philip M. Breedlove zeigte sich "extrem stolz" auf die beteiligten Militärs.
Der französische Schauspieler Jean-Hugues Anglade erhebt unterdessen schwere Vorwürfe gegen das Bahnpersonal. Als an Bord Panik ausgebrochen sei, hätten sich mehrere Mitarbeiter in einem speziellen Abteil verschanzt und die übrigen Passagiere ausgesperrt, sagte der aus dem Kultfilm "Betty Blue" bekannte Schauspieler am Samstag dem Magazin "Paris Match".
Nach der Attacke patrouillieren nun Polizisten in den Hochgeschwindigkeitszügen. Zur Zeit seien dies französische Sicherheitskräfte, es werde aber auch erwogen, belgische und niederländische Polizisten einzusetzen, sagte eine Sprecherin der belgischen Bahngesellschaft SNCB der Nachrichtenagentur Belga am Samstag. Auch an den Bahnsteigen in Brüssel, wo Thalys-Züge halten, werde Polizei eingesetzt.
Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Belgien
Frankreich war in den vergangenen Monaten mehrfach Ziel von Terroranschlägen oder -plänen mit islamistischem Hintergrund. Im Jänner schockierten die blutigen Attacken auf die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" und einen jüdischen Supermarkt das Land, Ende Juni sorgte ein brutaler Mord in einer Chemiefabrik bei Lyon für Schlagzeilen. Mehrfach berichtete die Behörden von vereitelten Terrorplots, beispielsweise gegen Kirchen. In der Region Paris gilt die höchste Terrorwarnstufe, Soldaten stehen vor gefährdeten Gebäuden Wache, die Regierung versprach mehr Polizisten.
(APA/AFP)