Der Krimi "Sturm über New Orleans" verleiht all den stummen Opfern der hausgemachten Flutkatastrophe vor zehn Jahren eine Stimme.
Vor einem Jahr wurde der im deutschsprachigen Raum nahezu vergessene US-Krimiautor James Lee Burke wieder entdeckt. Nicht zu Unrecht wurde sein monumentales Krimi-Epos „Regengötter“ – dessen Fortsetzung „Glut und Asche“ übrigens Mitte September auf den Markt kommt – mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Auch auf der KrimiZeit-Jahresbestenliste fand sich das Buch 2014 auf Platz eins.
Nun hat auch der kleine Pendragon-Verlag die Gunst der Stunde genutzt und Burkes legendären Ermittler David Robicheaux, einen der bekanntesten der modernen US-Kriminalliteratur, wiederauferstehen lassen. „Sturm über New Orleans“ ist im Original bereits 2007 erschienen und bietet eine beeindruckende Geschichtsstunde. Der Autor macht begreifbar, wie Moral und Anstand auch in der Stunde größten Elends überleben können – oder eben nicht.
Burkes wütendstes Buch. „Was damals in New Orleans geschah, das war nicht nur eine Naturkatastrophe, das war das größte Versagen einer Regierung, der denkbar größte Verrat an der eigenen Bevölkerung. Es war ein Verbrechen. Eine nationale Schande. Eine Wunde, die in den Geschichtsbüchern auf immer festgehalten bleiben wird“, schreibt der Autor im Vorwort. „Manche sagen, dies sei mein politischstes Buch. Sicher ist es mein wütendstes.“
Man spürt auf jeder Seite Burkes Sympathie für die Schwachen der Gesellschaft, die Außenseiter, die Ausgestoßenen. Der Autor glaubt fest daran, dass man selbst in der aussichtslosesten Situation noch die Möglichkeit hat, sich zu ändern. Man hat immer die Wahl. „Sturm über New Orleans“ mag nicht Burkes stärkstes Buch der Robicheaux-Serie sein, doch auch hier offenbart sich der Autor als feinfühliger, präziser Erzähler – Wut hin oder her. Burke hat es nicht nötig, den Schrecken von Katrina explizit und voyeuristisch auszuschlachten. Er schafft es mit simplen Sätzen, den Horror begreifbar zu machen: „Falls sich jemandem die Gelegenheit bietet, den Mitschnitt eines Handynotrufs von einem dieser Dachböden zu hören, sollte er so schnell wie möglich weggehen, es sei denn, er will mit Stimmen leben, die ihn den Rest seiner Tage im Schlaf heimsuchen.“
New Orleans in den Tagen nach dem 29. August 2005, das war Anarchie. Sämtliche Regeln und Vorschriften gingen über Bord, wie Burke schreibt: „Polizisten aus New Orleans fuhren mit den Autos der Cadillac-Niederlassung davon.“ Gleichzeitig vermeidet er, schwarz-weiß zu zeichnen. Viele Polizisten hätten drei Tage lang unermüdlich für die Menschen in Not gekämpft. Und Burke relativiert: „Schau dir diese Scheiße an. Wer braucht da noch Terroristen?“
Ein zweites Bagdad. Letztlich kippt die Stimmung. Das anfängliche Mitleid mit den aus New Orleans Geflohenen verschwindet: „Das alte Schreckgespenst des Südens war wieder da, nackt, roh und geifernd – der totale Hass auf die Ärmsten der Armen.“ Was folgt, ist auch eine Zeit der Geschäftemacherei. Firmen erhalten Aufträge um tausend Dollar pro Quadratmeter, die sie an Subunternehmen weiterreichen – für 20 Dollar pro Quadratmeter.
„Meiner Ansicht nach steht unwiderruflich fest, dass wir mitangesehen haben, wie eine amerikanische Stadt an der Südküste der Vereinigten Staaten zu einem zweiten Bagdad wurde“, sinniert Robicheaux im Epilog.
Neu Erschienen
James Lee Burke
„Sturm über New Orleans“
übersetzt von
Georg Schmidt
Pendragon-Verlag
576 Seiten
18,50 Euro
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2015)