Die Jihadisten sprengten den Baal-Tempel in der zentralsyrischen Oasenstadt. Das antike Monument dürfte nicht das Letzte sein, das die Fanatiker zerstören, da es den Islam verletze.
Die seit Längerem erwartete Katastrophe ist eingetreten: Die Zerstörung von Palmyra hat begonnen. „Mit einer großen Menge Sprengstoff“ haben Jihadisten des sogenannten Islamischen Staats (IS) laut Zeugen den Baal-Shamin-Tempel auf dem Gelände der antiken zentralsyrischen Oasenstadt in die Luft gejagt. Der Kern des Bauwerks sowie seine markante Säulenfassade seien stark zerstört worden, sagten der syrische Antikendirektor, Maamoun Abdulkarim, und die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.
„Allah möge uns beistehen“
„Wir erleben jetzt, wie Palmyra vor unseren Augen demoliert wird. Allah möge uns beistehen in den kommenden Tagen“, sagte Abdulkarim. In der ersten Phase nach der Eroberung Palmyras Ende Mai seien die Jihadisten damit beschäftigt gewesen, die Menschen zu terrorisieren. Jetzt hätten sie Zeit, die Tempel zu zerstören. Das antike Monument aus dem ersten Jahrhundert, das in seinem Inneren wertvolle Reliefs enthielt, war das archäologisch bedeutendste Bauwerk der antiken Oasenmetropole, die seit 1980 zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Hier wurden die drei Hauptgötter Palmyras – Baal, Aglibol und Iarhibol – verehrt.
Bereits seit der Frühzeit des Islam im achten Jahrhundert nutzten Muslime den Tempel als Moschee, wie arabische Inschriften belegten. Vor Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges 2011 besichtigten rund 150.000 Touristen pro Jahr das berühmte Palmyra-Ensemble mit seinen mehr als 1000 Säulen, opulenten unterirdischen Nekropolen, römischen und osmanischen Bauten. Unesco-Chefin Irina Bokowa geißelte das Treiben des IS als „brutalste und systematischste Zerstörung von kulturellem Menschheitserbe seit dem Zweiten Weltkrieg“. Das einzige Gegenmittel, das die Weltgemeinschaft derzeit habe, sei, die Vermarktung von geplünderten Antiquitäten und somit Gewinne für die Jihadisten zu verhindern.
Seit der Eroberung von Mossul im Irak im Juni 2014 ziehen die IS-Fanatiker eine Spur der Verwüstung durch die jahrtausendealten Kulturlandschaften des Irak und Syriens. Die assyrischen Königsstädte Ninive, Hatra und Nimrud nahe Mossul wurden dem Erdboden gleichgemacht, das Museum von Mossul verwüstet.
Erst vergangene Woche demolierten IS-Kommandos in Zentralsyrien das Pilgerkloster St.Elian auf halbem Weg zwischen Palmyra und Damaskus.
Kulisse für Hinrichtungen
Der jetzt zerstörte Baal-Shamin-Tempel steht etwa 300 Meter entfernt vom gut erhaltenen römischen Theater, welches 1952 freigelegt und offenbar bisher nicht angetastet wurde. Im vergangenen Monat missbrauchten die Extremisten die Kulisse, um 25 syrische Soldaten hinzurichten. Auch zwei deutschsprachige Jihadisten, Mohamed M. aus Wien und ein aus Berlin stammender Islamist, ermordeten inmitten der antiken Säulenreihen gefesselte Geiseln mit Gewehrsalven und drohten in einem Fünf-Minuten-Video weitere Gewalttaten in Deutschland und Österreich an.
Erst in der Vorwoche hatten die IS-Gewalttäter den früheren syrischen Antikenchef von Palmyra, Khaled al-Assaad, enthauptet und seine Leiche an einem Ampelmast zur Schau gestellt. Wie die Familie des Opfers erfuhr, zerstückelten die Jihadisten einige Tage später auch den Körper des 82-Jährigen.
LEXIKON
Palmyra war schon tausende Jahre vor Christus bewohnt und wurde eine große Handelsstadt. Im ersten Jh. von Rom besetzt, blieb sie eine Freistadt, verlor aber im 7. Jh. an Bedeutung, als die Araber sie von den Oströmern eroberten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2015)