Was verschweigt uns die Polizei?

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Medien werfen Wiens Polizei manipulative Darstellung der Kriminalität vor. Dabei orientieren sich die Pressestellen der Exekutive – so wie Zeitungen – am Interesse der Öffentlichkeit.

Wien. Die Geschichte erregt die Gemüter. Zeichnet die Pressestelle der Wiener Polizei bewusst ein verfälschtes Bild der Sicherheitslage?

Der ORF sagt Ja. Basis ist die vollständige Auswertung aller Presseaussendungen der Behörde in den Jahren 2013 und 2014. Die Berichte wurden nach Bezirk und behandelter Straftat katalogisiert und mit der Kriminalstatistik verknüpft. Stark vereinfacht gesagt, kam dabei heraus, dass bestimmte Delikte häufig an die Öffentlichkeit gebracht werden, andere stark unterrepräsentiert sind. Die Schlussfolgerung der Autorinnen lautet: „Die Pressemitteilungen der Polizei manipulieren unsere Wahrnehmung von Verbrechen.“ Ist das so?

Das Datenmaterial, das im Internet auf orf.at und correctiv.org veröffentlicht wurde, scheint eindeutig. Ein Beispiel: Im Untersuchungszeitraum verzeichnete die Statistik 622 Fälle von Handtaschenraub. Über 130 Fälle wurde berichtet. 647 Fälle von Vergewaltigung standen jedoch nur 15 Aussendungen der Polizei gegenüber. Eine unzulässige Manipulation der Realität?

Die präzise Katalogisierung der insgesamt 3726 Aussendungen ist in Bezug auf Polizei-Pressearbeit einzigartig. Die Arbeit, die vom in Deutschland ansässigen, gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv sowie der Rudolf-Augstein-Stiftung gefördert wurde, zeigt auch, worüber die Polizei öfter und worüber sie weniger berichtet (s. Grafik). Der Grund, warum die Daten sind, wie sie sind, muss aber nicht zwangsläufig mit Manipulation und Schönfärberei zu tun haben.

Schutz von Opfern

Die Pressemitarbeiter der österreichischen Exekutivbehörden – von den Landespolizeidirektionen bis hin zum Bundeskriminalamt – arbeiten wie Journalisten. Täglich erhalten sie Meldungen von Polizisten und geben die aus ihrer Sicht interessantesten an Medien weiter. Welche Nachrichten eine Pressestelle als „interessant“ bewertet, wird faktisch nicht von ihr selbst, sondern von Journalisten bestimmt. Das Innenministerium untersucht regelmäßig, welche Pressemeldungen am ehesten von Medien übernommen werden. Daran orientieren sich wiederum die Mitarbeiter der Polizeipressestellen.

Generell sind spektakuläre Straftaten für die Öffentlichkeit interessanter als „gewöhnliche“. Das bedeutet, dass nahezu jeder Mord Erwähnung findet, Massendelikte wie Wohnungseinbrüche jedoch krass unterrepräsentiert sind.

Bei Straftaten wie Vergewaltigung ist die Polizei sogar gesetzlich dazu verpflichtet, die Situation des Opfers bei der Öffentlichkeitsarbeit zu berücksichtigen. Existiert etwa ein Fahndungsfoto, das die Suche nach einem flüchtigen Täter bei Veröffentlichung erleichtern würde, gibt die Polizei eine Mitteilung heraus. Würde eine Aussendung jedoch nur der Information der Öffentlichkeit dienen, sonst aber keinen Nutzen haben, hat die Pressestelle den Schutz des Opfers als wertvoller zu betrachten. Dafür gibt es auch interne Regeln.

(C) DiePresse

Die österreichische (und Wiener Praxis) unterscheidet sich kaum von jener im Ausland. Auch in Bayerns Hauptstadt, München, versucht die Polizei, die Interessenlage der Medien zu berücksichtigen. Die rasche Weitergabe von Informationen hat auch pragmatische Gründe. Medien seien in der Lage, „Druck“ auf die Polizei aufzubauen, sagt Carsten Neubert, Sprecher des Polizeipräsidiums München. Sonst laute der Vorwurf: „Warum habt ihr das nicht früher gebracht?“

In der täglichen Umsetzung gleicht die Münchner Umsetzung einer Blaupause der hierzulande üblichen Praxis. Bei der Freigabe von Pressemeldungen sind oft rechtliche Gründe entscheidend. So werden Mitteilungen, die eine Ermittlung gefährden könnten, zurückgehalten. Auch gilt es, Verletzungen der Persönlichkeitsrechte (zum Beispiel im Zuge der Berichterstattung über Sexualdelikte) zu vermeiden. Weiters wird abgewogen, ob durch Aussendungen an Medien Nachahmungstäter angelockt werden könnten. Und: Über Suizide ist (von bestimmten Ausnahmefällen abgesehen) praktisch nichts zu lesen. Wie in Österreich.

Keine „Politik“

Eine offensive Vorgangsweise verfolgt man in München – und Wien – dann, wenn es darum geht, mit Aussendungen Zeugen dazu aufzurufen, bei der Aufklärung von Verbrechen mitzuwirken. Auch kriminelle Handlungen mit flüchtigen Tätern werden freilich – Stichwort: Schutz der Bevölkerung – an Medien weitergegeben. Dass die Münchner Polizei mit der Auswahl ihrer Meldungen so etwas wie eigene „Politik“ betreibe, sieht der Münchner Polizeisprecher – wie seine Wiener Kollegen – nicht.

AUF EINEN BLICK

Medienarbeit. Eine durch das Recherchezentrum Correctiv und die Rudolf-Augstein-Stiftung ermöglichte und vom ORF verfasste Analyse der Medienarbeit der Wiener Polizei legt nahe, dass die Kriminalität verzerrt dargestellt wird. So werden etwa über Vergewaltigungen relativ wenige Aussendungen verfasst. Doch orientiert sich die Pressearbeit nach dem öffentlichen bzw. medialen Interesse. Auch sind rechtliche Schranken zu beachten.

Links:
>> Bericht auf orf.at
>> Bericht auf correctiv.org

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2015)

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