Die Kommission erarbeitet nach dem verhinderten Thalys-Angriff Maßnahmen für den Bahnverkehr. Im Gespräch: Ausweiskontrollen, Gepäckchecks, Überwachungskameras.
Wien/Brüssel. Gepäckscanner, Ausweiskontrollen und Metalldetektorschleusen gehören zum normalen Sicherheitsprozedere vor jedem Flug – und werden von den meisten Reisenden als lästiges, wenngleich notwendiges Übel hingenommen. In Zukunft aber dürften sich derartige Maßnahmen nicht auf Flugpassagiere beschränken: Geht es nach Plänen, die von EU-Kommission sowie Innen- und Verkehrsministern der Mitgliedstaaten erörtert werden, sollen sich auch Zugreisende schon bald stärkeren Kontrollen unterziehen müssen. Auslöser für die Überlegungen, die sich in den kommenden Wochen konkretisieren sollen, war ein Vorfall in einem Thalys-Schnellzug von Amsterdam nach Paris Ende vergangener Woche: Ein Mann hatte mit einer Kalaschnikow geschossen, ehe ihn andere Fahrgäste überwältigten. Der verdächtige Marokkaner ist nach Angaben der französischen Behörden Mitglied einer radikal-islamistischen Bewegung.
Experten aus den EU-Staaten und der Kommission wollen deshalb bei einem Treffen am 11.September konkrete Vorschläge über neue Sicherheitsvorkehrungen im internationalen Bahnverkehr erarbeiten, die anschließend den EU-Verkehrsministern zur weiteren Evaluierung vorgelegt werden.
„Eine Option“ wären laut Kommission systematische Gepäckchecks und Überwachungskameras für grenzüberschreitende Hochgeschwindigkeitszüge. Auch Ausweiskontrollen, die von multinationalen, in den Zügen patrouillierenden Polizeiteams durchgeführt werden, stehen im Raum. Solche Kontrollen sind laut Kommission möglich, ohne die in den meisten EU-Ländern geltenden Schengen-Regeln zu beschneiden– solange sie nicht systematischen Checks an der Grenze gleichkommen.
Nach dem verhinderten Attentat vom letzten Freitag fahren Thalys-Züge zwar schon jetzt in Begleitung französischer Sicherheitskräfte, wie die Bahngesellschaft SNCB mitgeteilt hat. Dass es im Zugverkehr keine gemeinsamen europäischen Anti-Terror-Vorkehrungen gibt, ist jedoch für viele EU-Regierungen nicht länger hinnehmbar.
Kontrollen bei Eurostar
Penible Sicherheitschecks gibt es derzeit lediglich beim Eurostar, der das europäische Festland mit London St.Pancras verbindet. Der Abfahrtsbereich des Zugs ist vom übrigen Bahnhof abgetrennt, Gepäck und Ausweise der Passagiere werden kontrolliert. Die Beamten prüfen die Dokumente der Reisenden vor Fahrtantritt besonders genau – ist Großbritannien doch nicht Teil des Schengen-Raums.
Geht es nach Belgiens Premier, Charles Michel, könnten solche Maßnahmen beispielgebend für den gesamten internationalen Zugverkehr sein. Doch Experten sind skeptisch. Die Etablierung eines flughafenähnlichen Sicherheitssystems auf Bahnhöfen sei äußerst unrealistisch, heißt es.
Auch die deutsche Polizeigewerkschaft winkt ab – allerdings aus einem anderen Grund: Derartige Maßnahmen könnten allein aus Personalnot nicht durchgeführt werden. „Zurzeit haben wir nicht einmal genügend Leute, um Taschendiebe zu stellen“, mahnte GdP-Vize Jörg Radek in einem Interview mit N-TV.
Doch das verhinderte Attentat im Thalys-Zug hat nicht nur die Frage nach verschärften Sicherheitsmaßnahmen im Bahnverkehr aufgeworfen: Im EU-Parlament regt sich Kritik am mangelnden Informationsaustausch der Mitgliedstaaten bei potenziellen Gefahren im terroristischen Bereich. So war der Angreifer zwar spanischen, französischen und belgischen Behörden bekannt, konnte aber dennoch stark bewaffnet einen internationalen Schnellzug besteigen. „Bei den meisten Terrorakten waren die Täter vorher bekannt, nur haben die Mitgliedstaaten nicht kooperiert“, kritisiert Guy Verhofstadt, Fraktionsführer der liberalen ALDE. „Eine Lösung“, meint er, „könnte deshalb ein gemeinsamer europäischer Geheimdienst sein.“
AUF EINEN BLICK
Nach dem Einsatz gegen einen bewaffneten Angreifer in einem Thalys-Schnellzug von Amsterdam nach Paris erwägt die EU systematische Gepäckchecks, Überwachungskameras und Ausweiskontrollen für grenzüberschreitende Züge. Am 11.September sollen sich Experten der EU-Staaten und der Kommission treffen, um über Konsequenzen zu beraten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2015)