Deutschland: Déja-vu bei rechtsextremer Gewalt

German President Gauck visits an asylum seekers accommodation facility in Berlin
German President Gauck visits an asylum seekers accommodation facility in Berlin(c) REUTERS (STEFANIE LOOS)
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Die rechtsradikale Szene macht durch Terror gegen Flüchtlingsunterkünfte von sich reden, speziell in Sachsen: Man empfing Kanzlerin Merkel dort am Mittwoch als „Volksverräterin“.

Berlin. Joachim Gauck ging am gestrigen Mittwoch mit gutem Beispiel voran. Während seines Besuchs in einem Flüchtlingsheim in Berlin-Wilmersdorf machte Deutschlands Bundespräsident klar, dass Rechtsextremisten und Ausländerfeinde das weltoffene Bild Deutschlands beschädigen würden.

Nicht ganz so ruhig lief es bei Kanzlerin Angela Merkel ab. Sie wurde bei ihrer Ankunft im sächsischen Heidenau, wo es voriges Wochenende zu Ausschreitungen gekommen war, mit Buhrufen empfangen. Sie forderte bei einer Ansprache eine „menschliche Aufnahme von Flüchtlingen“ und „Härte gegen Rechtsextremisten“; Demonstranten empfingen sie indes mit Buh-Rufen, hießen sie „Volksverräterin“ und beschimpften Medienvertreter als „Lügenpresse“. Ein Kameramann wurde mit einem Ei beworfen. In sozialen Netzwerken hatten rechte Gruppen zu der Aktion aufgerufen.

Beide Politiker eint ihre Abscheu gegen Rechts. Doch mit welcher Art von Gegenwehr haben sie es zu tun? Fakt ist, dass Gewalttaten gegenüber Flüchtlingen in Deutschland zunehmen. Allein in den ersten sechs Monaten 2015 wurden 202 Angriffe auf Asyl-und Flüchtlingsunterkünfte registriert. Das ist mehr als im ganzen Vorjahr.

Messer gegen Migranten

In jüngster Zeit kamen weitere Gewaltakte hinzu. Erst am Dienstagabend verschafften sich zwei mit Messern bewaffnete Männer Zugang zum Gelände einer Flüchtlingsunterkunft in Mecklenburg-Vorpommern. Einige hundert Kilometer weiter südlich, in Leipzig, warf jemand einen Brandsatz auf eine geplante Unterkunft für Asylwerber. Nur die Beobachtung eines Zeugen und die Feuerwehr verhinderten größere Schäden.
„Rechtsextreme Gewalt ist immer da“, sagt Sozialwissenschaftler Alexander Häusler von der FH Düsseldorf. Anschlagswellen, so wie sie jetzt zu sehen seien, habe es in Deutschland schon einmal gegeben – in den Neunzigerjahren. Ausschreitungen gegen Asylwerber in Rostock-Lichtenhagen und der Brandanschlag von Solingen mit fünf Toten haben einen dunklen Fleck hinterlassen. „Was wir heute sehen, ist ein Déjà-vu“, sagt Häusler. Der Anstieg von Straf- und Gewalttaten, bei denen sich die Rechten als „Vollstrecker des Volkswillens“ gesehen haben, finde jetzt durchaus seine Wiederkehr.

Dabei ist die Zahl der den Behörden bekannten Rechtsextremisten in den vergangen Jahren zurückgegangen. Der Verfassungsschutz erfasste 2014 rund 21.000 Personen. Davon ist die Hälfte, also jeder Zweite, gewaltbereit. Das Problem verteilt sich jedoch auf ganz Deutschland – und ist nicht exklusiv eines des Ostens. „Rechtsextrem motivierte Straftaten haben wir genauso im Westen. Rassistisch motivierte Gewalt ist dafür in Ostdeutschland ausgeprägter“, sagt Häusler. Speziell in Sachsen, mit seinen Städten Leipzig und Dresden, wurde dies lang verharmlost, so der Experte. „Das rächt sich jetzt.“ Hinzu komme, dass der Landesverband der regierenden CDU politisch weit rechts gelagert sei.
Zwar hat die rechtsextreme Partei NPD im Vorjahr mit 4,9 Prozent der Stimmen nur knapp den Einzug in Sachsens Landtag verpasst. In manchen Wahlkreisen, etwa der Sächsischen Schweiz, kam sie aber auf 16 Prozent.

Schuld auch bei Pegida

Gleichzeitig gilt Sachsen auch als Gründungsort der islamfeindlichen Pegida-Bewegung. Häusler sieht in der Gruppe einen „Türöffner“ für die Verharmlosung rassistisch motivierter Fremdenfeindlichkeit. Dass die Organisation mit Sitz in Dresden ihre Anhänger zu mobilisieren vermag, hat sie deutlich zum Jahreswechsel gezeigt. Auf dem Höhepunkt der Bewegung gingen bis zu 25.000 Demonstranten auf die Straße. Weil man für deren Befürworter allerdings Begriffe wie Asylkritiker verwendete, wurden „fremdenfeindliche Träger erst salonfähig gemacht“, so Häusler.

Auch die Opposition im Bundesland Sachsen spart nicht mit Kritik an der amtierenden Landesregierung. Die Linke-Politikerin Juliane Nagel hat etwa gefordert, dass die CDU-SPD-Koalition „Rassismus konsequent in Wort und Tat ächten“ müsse. Das sieht auch der deutsche Politikwissenschaftler Hajo Funke so. Seiner Ansicht nach wird nicht hart genug durchgegriffen. Allein in Heidenau habe die Polizei zwei Tage lang gänzlich versagt – und eine katastrophale Situation bewusst hingenommen.

AUF EINEN BLICK

Die steigende Zahl an Flüchtlingen in Deutschland ruft auch die rechtsradikale Szene auf den Plan. Angriffe auf Schutzsuchende stehen derzeit auf der Tagesordnung. Schon jetzt übersteigen die Angriffe auf Flüchtlings-und Asylunterkünfte die Vorjahreswerte. Vor allem in Sachsen wurde das Problem vonseiten der Politik lange verharmlost. Bewegungen wie jene der islamfeindlichen Pegida haben Fremdenfeindlichkeit praktisch salonfähig gemacht.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2015)

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