Asyl: Wege aus der europäischen Sackgasse

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Ein Marshallplan und adäquate Worte könnten die Flüchtlingskrise lösen. Nicht aber die „Giftpillen“ von Ex-Politiker Thilo Sarrazin – fand das Publikum und kehrte ihm den Rücken zu.

Rund 22.000 Menschen sind in den vergangenen Jahren an den Außengrenzen der EU ums Leben gekommen. Grund für ihren Tod sei die europäische Flüchtlingspolitik, die sich derzeit in einer Sackgasse zu befinden scheint. Um dies zu illustrieren, wurden Montagnachmittag im Erwin-Schrödinger-Saal des Congress Centrums zwei Listen mit den Namen der Verstorbenen entrollt – sie reichten bis an das hintere Ende des rund 500 Personen fassenden Raumes. Mit dieser Aktion und einer Gedenkminute eröffnete Moderatorin Corinna Milborn die Debatte über die aktuelle Asylkrise.

Erster Diskussionspartner am Podium war Nihad Qoja. Der Bürgermeister von Erbil, Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Irak, war als junger Mann nach Deutschland geflohen. „Mit dem Beginn der Angriffe der ISIS-Truppen kamen 2014 innerhalb kürzester Zeit rund 1,2 Millionen syrische Flüchtlinge zu uns“, schilderte er. Man habe sie aufgenommen, dafür gesorgt, dass sie rasch Arbeit finden und eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. „Das waren viel mehr als die 200.000, die jetzt nach Europa wollen“, betonte er. „Ich verstehe die Aufregung nicht.“

Als Weg aus der „Sackgasse“ schlug er eine Art Marshallplan vor: „Man sollte nicht 100 Milliarden Euro nach Griechenland schicken, sondern in die Flüchtlingshilfe investieren, sodass in den betroffenen Krisengebieten entsprechende Strukturen aufgebaut werden können.“ Auch Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner plädierte für eine adäquatere Verteilung von Geldern: „Ungarn steckt 30 Millionen Euro in die Errichtung eines Grenzzaunes, während andernorts Menschen verhungern und Kinder in Schlafsäcken im Freien schlafen müssen.“ Ähnlich Julian Lehmann, vom Berliner Global Public Policy Institut, der auf eine „globale Verantwortungsaufteilung“ pochte.

Die bosnisch-stämmige Filmemacherin Nina Kusturica, die einst als 17-Jährige nach Österreich geflohen ist, kritisierte die „inhaltsleere Politik der Innen- und Justizminister Europas“. Diese würden „ihre Gefühle ausschalten, um ihre Aufgaben zu erledigen – das macht mir Angst“, sagte sie und erhielt einen langen Applaus.

Protest gegen Rassismus

Weniger Zustimmung erhielt hingegen kurz darauf der frühere SPD-Politiker und Buchautor Thilo Sarrazin. Er nannte es „absurd“, dass aus rechtlicher Perspektive rund 80 Prozent der Weltbevölkerung ein Asylrecht in Österreich hätten. Konflikte sollten die jeweiligen Krisenländer selbst lösen, an der Errichtung von Grenzzäunen fand er „nichts Unmoralisches“ – einige Zuhörer sehr wohl. Rund 25 Personen erhoben sich, drehten dem Podium den Rücken zu und hielten Anti-Rassismus-Plakate hoch.

Michael Landau, Caritas-Präsident, erhob sich ebenfalls aus dem Publikum. „Herr Sarrazin, ich stimme Ihnen zu, dass jeder Staat über seinen Umgang mit Asylwerbern selbst entscheiden muss“, sagte er – „doch Sie mischen Ihren richtigen Ansätzen Giftpillen bei und ich fragen mich, ob dahinter Kalkül steckt.“ Ähnlich der Diskussionsbeitrag der ebenfalls zuhörenden Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Ulrike Lunacek: „Ich möchte lediglich daran erinnern, dass Gewalt schon bei der Wahl der Worte anfängt.“

>>> Interview mit Thilo Sarrazin

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