„Fürchten Sie sich nicht“: Koalition wirbt für Flüchtlinge

Head of the FPOe Strache delivers a speech in front of Vice Chancellor Mitterlehner and Chancellor Faymann during an extraordinary session of the parliament on migration policy in Vienna
Head of the FPOe Strache delivers a speech in front of Vice Chancellor Mitterlehner and Chancellor Faymann during an extraordinary session of the parliament on migration policy in Vienna(c) REUTERS (HEINZ-PETER BADER)
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SPÖ, ÖVP, Grüne und Neos beschließen Durchgriffsrecht des Bunds bei der Quartiersuche. Die FPÖ fordert lückenlose Grenzkontrollen und einen Assistenzeinsatz des Bundesheers.

Wien. Einer gegen alle: Die FPÖ nutzte die Nationalratssondersitzung am Dienstag zu einem Generalangriff auf die Asylpolitik der Regierung. Parteichef Heinz-Christian Strache kritisierte das geplante Durchgriffsrecht, das es dem Bund ermöglicht, Flüchtlingsquartiere auch gegen den Willen der Gemeinden zu errichten, und forderte eine Volksabstimmung. Die EU habe bei der Grenzsicherung „kläglich versagt“, ebenso die Bundesregierung, die sich nicht nur auf die EU ausreden dürfe. Strache forderte lückenlose Kontrollen an Österreichs Grenzen und einen Assistenzeinsatz des Bundesheers. Das Asylrecht stellte er grundsätzlich nicht infrage, es müsse aber Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen geben. Und: Man solle vor allem solche mit christlichem und jüdischem Hintergrund aufnehmen.

„Wir wollen Menschenleben schützen und nicht Grenzen“, konterte die grüne Parteichefin, Eva Glawischnig. Der Stacheldraht in Ungarn an der Grenze zu Serbien sei die „personifizierte Inhumanität Europas“. Stattdessen brauche es die Solidarität aller Länder, und da würden die Grünen die Bundesregierung mit dem Vorschlag unterstützen, EU-Förderungen mit der Flüchtlingsverteilung zu verknüpfen.

Auch ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka wandte sich direkt an Strache: „Ich will kein Österreich, das von einem Stacheldraht umgeben ist.“ Er sprach „schreckliche Wortmeldungen“ in sozialen Netzwerken an, die an die dunkelste Zeit des vergangenen Jahrhunderts erinnern würden – aber auch in Wahlkämpfen der FPÖ. Die Flüchtlingswelle sei eine der größten Herausforderungen der Zweiten Republik – aber man habe ähnliche Herausforderungen schon bewältigt, etwa bei der Ungarn-Krise 1956 oder während des Bosnien-Kriegs. „Fürchten Sie sich nicht“, rief der gelernte Theologe Lopatka dem Publikum in Anlehnung an die Bibel zu.

Zuvor hatten sich schon Kanzler und Vizekanzler vehement für Solidarität mit den Flüchtlingen ausgesprochen und Hetze in der Asylpolitik eine Absage erteilt. Werner Faymann stellte klar, dass Österreich die Entscheidung zu treffen habe, „ob wir Kriegsflüchtlinge, die um ihr Leben laufen, mit Stacheldraht oder mit menschlichen, ordentlichen Quartieren empfangen“. Was dabei zu tun ist, liegt für den SPÖ-Chef auf der Hand: „Wir werden zeigen, dass jedes Menschenleben etwas wert ist.“ Vizekanzler Reinhold Mittlerlehner distanzierte sich von den Freiheitlichen, ohne diese namentlich zu nennen. So tadelte er etwa den Ausdruck Wirtschaftsflüchtling – dieser passe wohl nicht für jemanden, der sein Leben riskiere, um nach Europa zu kommen und dann in einem Auto ersticke. Bei den Flüchtlingen handle es sich um keine Menschen zweiter oder dritter Klasse.

Mahnbrief aus Brüssel nach Wien

Auch Grüne und Neos unterstützten den Initiativantrag, der der Regierung Durchgriffsrechte bei der Quartiersuche einräumt. Das Gesetz soll mit 1.Oktober in Kraft treten. In Brüssel wurde indes bekannt, dass die EU-Kommission Mahnbriefe ausgesandt hat: Einer betrifft Österreich. Wegen der fehlenden Unterkünfte.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2015)

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