Dieser »Revisor« lässt nichts aus

FOTOPROBE: ´DER REVISOR´
FOTOPROBE: ´DER REVISOR´(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Die Premiere von Nikolaj Gogols Komödie im Burgtheater war fantastisch. Alvis Hermanis führt einen Jahrmarkt der Eitelkeiten vor. Das Ensemble besticht mit Witz und Charakter.

Wenn Alvis Hermanis einen Klassiker des russischen Theaters inszeniert, kann eine Aufführung leicht die Dimensionen einer Wagner-Oper erreichen. Das Burgtheater, das eben erst peinliche Finanzprüfungen überstanden hat und einen Skandal, der 2014 im forcierten Abgang des Direktors gegipfelt hat, wurde am Freitag zur Saisoneröffnung mit solch einem Gesamtkunstwerk bedacht. Der lettische Regisseur wuchtete Nikolaj Gogols Komödie „Der Revisor“ in viereinhalb Stunden (inklusive Pausen) auf die Bühne. Das Publikum bedankte sich mit lang anhaltendem Applaus. Zu Recht. Die Inszenierung ist bildintensiv, stimmig, stets bestechend gespielt. So lässt es sich sogar verschmerzen, dass an diesem ausgedehnten Abend zu viele Pointen bis zum Exzess zelebriert wurden.

Wie bei einer reifen Oper hat es diesmal eine großzügige Ouvertüre gegeben, die Leitmotive des Stücks hat anklingen lassen, das seit der Uraufführung 1836 in Sankt Petersburg nichts an Attraktion und Aktualität verloren hat. Solch brutale Bloßstellung von Korruption, Selbstsucht, unerfüllter Sehnsucht schätzte zu Gogols Zeit sogar der Zar. Nikolaus I. lachte bei der Premiere aus vollem Hals: „Na, das ist ein Stück! Alle haben etwas abbekommen, und ich selbst am meisten!“, soll er danach gesagt haben.

Bei Hermanis, der auch das Bühnenbild gestaltet hat, bekommt von Anfang an der sozialistische Realismus etwas ab. Die erste Szene beginnt in einer Kantine übelster Sorte – ein Bastlerhit mit versifften Böden und Wänden, abgesessenen Stühlen. Am meisten Dreck scheint es in der Küche zu geben, einem Ungetüm aus Blech. Und aus den bizarr gewundenen Lüftungsschächten dringen manchmal Geräusche, als ob dort pelzige Tiere tollen. Zwischen Tischen und Stühlen stolzieren drei stattliche Hühner herum.


Müde, graue, fette Männer. Schon beginnt das Vorspiel. In der Küche werken unter Leitung der Köchin (Brigitta Furgler) korpulente Damen, das Rühren und Scheuern und Klappern hat Rhythmus, eine mechanische Melodie ist unterlegt. Der Reihe nach trifft nun im Speisesaal die Nomenklatura der Stadt ein. Absurd fette Herren (Kristīne Jurjāne hat sie mit kafkaesken Kostümen ausstaffiert) holen sich Essen und Getränke, zahlen dafür bei einer grimmigen Kassiererin, setzen sich einzeln hin, schaufeln rein. Sie nehmen die Schlagzahl aus der Küche auf. Kein Wort fällt. Man sieht müde, graue Männer mit leerem Blick. Ihre Essenspause läuft wie ein Arbeitsprozess ab, vor und hinter der Theke ist man wie Charlie Chaplin in „Modern Times“ in einer trostlosen Maschine gefangen.

Doch nach etwa einer Viertelstunde tut sich etwas. Der Bürgermeister (Michael Maertens) tritt ein, er schlägt zwei Tabletts zusammen und verkündet in die Stille hinein die schreckliche Botschaft: „Ein Revisor kommt in unsere Stadt.“ Das bloße Gerücht versetzt diese Bürger in Panik. Bereits durch die groteske Charakter-Revue der Ouvertüre ahnt man, wie tief die Korruption dieser russischen Provinzstadt ist.

Der Richter (Falk Rockstroh), der Schuldirektor (Johann Adam Oest), der Chef des Krankenhauses (Martin Reinke) und der Postmeister (Dietmar König) haben alle Dreck am Stecken. Nur der deutsche Arzt (Franz J. Csencsits) sowie ein tollpatschiges Duo (Hermann Scheidleder, Dirk Nocker) scheinen sogar zu dumm für Korruption zu sein. Letztere sind es auch, die den Revisor im Gasthaus gesehen zu haben glauben. Angst macht hier anfangs so blind wie später Zügellosigkeit. In den nächsten Stunden werden sich die treibenden Kräfte der Stadt an diesen zufällig Durchreisenden (Fabian Krüger) und seinen Begleiter (Oliver Stokowski) heranschmeißen, ihm Geld und vor allem den Verlust jedes Rests an Würde aufdrängen. Dabei ist doch offensichtlich, dass jener Chlestakow ein abgebrannter Tramp ist, so wie Ossip ein Relikt der Generation Hippie, dessen Gepäck aus einem fast leeren Koffer und einer E-Gitarre besteht.

Dem Ensemble ist hier ein außerordentliches Kunststück gelungen. Es stellt kleinere Laster und Todsünden einer mit Gefälligkeiten geschmierten Gesellschaft in allen Facetten aus, es ist sich im rechten Augenblick für keine Übertreibung zu schade, um dann blitzartig, im Existenziellen, eine Traurigkeit zu vermitteln, die ans Herz geht.


Ein sanfter Räuber. Man sieht an diesem tollen Abend eine Star-Parade von Charakterköpfen. Die schwierigste Rolle hat wohl Krüger. Er ist das Medium, in dem sich alle spiegeln. Auch dieser Revisor ist anfangs voller Furcht und dumm, bald aber dreist. Er rettet sich mit öliger Freundlichkeit. Hinter Sanftheit verbirgt sich ein Räuber. Hermanis überhöht das symbolisch. Neben echten Hühnern gibt es im Wirtshaus zwei mannshohe Ratten, die Ossip zum Abschied zärtlich streichelt.

Für die Szenen, in denen sich die Bürger von Chlestakow willig ausnehmen lassen, hat die Regie reine Farce gewählt. Sie spielt in einem trostlosen Abort mit verdreckten Schüsseln, deren Gestank man fast zu riechen meint. Dort verhandelt der falsche Revisor um das Geld, das er sich „leiht“. Er kriegt es von allen im Übermaß. Wieder zelebriert Hermanis menschliche Schwächen drastisch – als Schaulaufen von Maßlosigkeit und Unterwürfigkeit.

Schließlich bieten sich den Tramps auch noch die Frauen an. Ossip kriegt die Küchenhilfen, Chlestakow Frau und Tochter des Bürgermeisters: Maria Happel und Dörte Lyssewski sind Zugnummern. Sie lassen nichts aus. Ausstaffiert, abgefüllt und befriedigt macht sich der zum Betrug genötigte Titelheld samt Kumpel aus dem Staub, mit dem Versprechen, die Tochter zu heiraten.

Nun wird es ernst. Die Stützen der Stadt warten an der Hochzeitstafel auf die Rückkehr Chlestakows. Das ist zum Weinen komisch. Kurz flammt zwar Hoffnung auf, und sogar Wahrheiten hört man jetzt. Die Masken fallen. Nach Petersburg will die Familie, weg aus diesem dreckigen Nest. Aber diese Menschen fallen tief. Oh Schande! Ihre vielen Schwächen waren schuld. Am Ende huscht ein zwei Meter großes Huhn herein zum Bankett der Geprellten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2015)

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