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Durch Europa geht ein Riss: Nord contra Süd, West versus Ost

Juha Sipilä
(c) APA/EPA/STEPHANIE LECOCQ (STEPHANIE LECOCQ)
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Sondergipfel soll erst im Oktober stattfinden. Beim Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg dominierten die Schuldzuweisungen.

Juha Sipilä mochte das Flüchtlingselend und die anhaltende Hilflosigkeit der EU nicht länger tatenlos mitansehen. Der finnische Ministerpräsident, als Chef der Zentrumspartei ein relativer Newcomer in der Politik und erst seit rund 100 Tagen Regierungschef in Helsinki, will mit eigenem Beispiel vorangehen. In einem TV-Interview kündigte der 54-Jährige, ein engagierter Christ, Selfmademan und Multimillionär, an, selbst Flüchtlinge in seinem Zweithaus im Norden des Landes einquartieren zu wollen. „Wir sollten alle in den Spiegel schauen und uns fragen, wie wir helfen können.“

Dies war als Appell an seine Landsleute zu verstehen, aber auch als Botschaft an seine widerwilligen Amtskollegen in der Europäischen Union. Denn die EU-Chefdiplomaten konnten sich auch bei ihrem zweitägigen Treffen in Luxemburg nicht zu einem raschem Handeln durchringen, sondern lediglich zu einer Absichtserklärung, im Oktober einen Sondergipfel zur Flüchtlingsfrage abzuhalten. Dass die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel Ende Juni beim Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge nicht auf einen gemeinsamen Nenner kamen, war allen noch im Gedächtnis.

Sebastian Kurz, Österreichs Außenminister, zeigte sich sichtlich enerviert vom Zaudern auf höchster EU-Ebene. Seine Ungeduld kleidete er in die rhetorische Frage, warum Europa im Zuge der griechischen Schuldenkrise in der Lage gewesen sei, Sondergipfel im Wochentakt und zuletzt sogar im Rhythmus von einigen Tagen einzuberufen. „Ich hoffe, dass es ein Erwachen gibt. So kann es nicht weitergehen. Jeder, der glaubt, man kann das Problem aussitzen, der irrt sich.“ Unter den Flüchtlingen seien auch potenzielle Terroristen, zurückkehrende Kämpfer aus dem Bürgerkrieg in Syrien, und daher sei die aktuelle Krise auch ein Sicherheitsproblem.


Debatte dreht sich im Kreis. Federica Mogherini, die EU-Außenbeauftragte, warnte, die Zukunft Europas stehe auf dem Spiel. Die Zeit der gegenseitigen Schuldzuweisungen müsse endgültig vorbei sein, lautete das Mantra der Außenminister in Luxemburg – nur, um sich hernach selbst zu widersprechen. Die Debatte drehte sich im Kreis, und die Fronten verliefen quer durch den Saal: Südeuropäer contra Nordeuropäer, Ost gegen West. Kurz wies Italien und Griechenland die Schuld an der Eskalation zu. Frank-Walter Steinmeier sprach von der Notlage als rechtlicher Ausnahmesituation. Im Mittelpunkt stand nicht zuletzt der ungarische Außenminister, Peter Szijarto, der wiederum Wien und Berlin bezichtige, die Situation noch zu verschärfen.

Zwischen West und Ost zeichnet sich eine Spaltung ab, wie Italiens Außenminister Paolo Gentiloni beklagte. Beim Treffen auf dem Prager Hradschin haben Tschechien, die Slowakei, Polen und Ungarn ihren Widerstand gegen eine Quote zuletzt neuerlich postuliert. Auf Angela Merkel und François Hollande, auf Jean-Claude Juncker und Donald Tusk kommt jetzt viel Überzeugungsarbeit zu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2015)