Syrien: USA warnen Russland vor Eskalation

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Die russische Armee hat ihre Präsenz im Bürgerkriegsland zuletzt massiv verstärkt, sehr zur Sorge Washingtons. Wladimir Putin verfolgt als Alliierter Assads strategische Ziele in Nahost.

Kairo. Mal posieren die russischen Soldaten vor Assad-Plakaten, mal grinsen sie im Gruppenfoto in die Kamera, vor sich die Blechnäpfe mit ihrem Kasernenessen. In Damaskus sind russische Offiziere inzwischen bei allen Lagebesprechungen dabei. Augenzeugen aus der syrischen Hauptstadt berichten, in einigen Vierteln wimmle es seit Anfang September „von russischen und iranischen Typen“.

Mitglieder der al-Nusra-Front im Norden stellten kürzlich Fotos hochmoderner Suchoi-Kampfjets ins Netz, die nach ihren Angaben über der Provinzhauptstadt Idlib operierten. Ende August passierte das Landungsschiff Nikolay Filchenkov den Bosporus Richtung Syrien, das Oberdeck bis in den letzten Winkel voll geladen mit Lastwagen und Panzern. Zuvor war bereits eine mobile Kaserne für 1000 Mann in der Assad-Hochburg Latakia eingetroffen, auf dessen Flughafen russische Techniker gegenwärtig ein mobiles Flugkontrollzentrum errichten. Parallel dazu häufen sich seit Anfang September Überfluganträge an syrische Nachbarstaaten für russische Iljuschin-II-76-Großtransporter.

Kerry-Telefonat mit Lawrow

Am Wochenende stellte US-Außenminister John Kerry seinen russischen Amtskollegen Sergei Lawrow per Telefon zur Rede und warnte vor einer „schweren Eskalation des Konflikts“, weiteren Opfern und weiteren Flüchtlingen. Vor allem aber riskiere Moskau mit seinem Aufmarsch eine Konfrontation mit der westlich-arabischen Anti-IS-Koalition, hieß es in dem ungewöhnlich scharfen Kommuniqué über das Gespräch. Erst kürzlich ist die Türkei der internationalen Allianz gegen die Terrormiliz beigetreten, auch Franzosen und Briten erwägen eine aktive Beteiligung.

Seit 1971 unterhält Moskau einen eigenen Stützpunkt in der Hafenstadt Tartus, den einzigen im gesamten Mittelmeer. Waffenhilfe für Syriens Diktator Bashar al-Assad leistete Wladimir Putin während des gesamten Bürgerkriegs. Doch jetzt soll offenbar erstmals ein russisches Expeditionskorps mit modernstem Gerät nach Syrien verlegt werden. Der Kreml werde seine Militärpräsenz in den nächsten Monaten drastisch ausweiten, fürchtet das Pentagon. „Es gibt einige besorgniserregende Bewegungen“, zitiert die „New York Times“ einen Experten.

Putin hat mehrere Motive, auch wenn er nach außen lediglich versichert, der ehemaligen Supermacht gehe es nur um „eine internationale Koalition im Kampf gegen Terrorismus und Extremismus“. Das europäische Flüchtlingsdrama sei verursacht „durch die Grausamkeiten des IS und nicht durch das Assad-Regime“, dozierte der Kreml-Chef dieser Tage ungerührt. Dabei weiß er genau, dass eine Eskalation auf dem syrischen Schlachtfeld mit modernsten russischen Waffen noch wesentlich mehr Menschen in Richtung Europa treiben wird. Die EU könnte, so offenbar das zynische Kalkül Putins, als Vergeltung für ihre Ukraine-Sanktionen in eine Art humanitäre und politische Dauerkrise gestürzt werden.

Russische IS-Jihadisten

Schon jetzt irrt die Hälfte der 23 Millionen Syrer entwurzelt und aus Angst um das eigene Leben in der Welt herum. Fast die gesamte Zivilbevölkerung sei Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwersten Menschenrechtsverletzungen geworden, bilanzierte die jüngste UN-Dokumentation.

Abgesehen davon beunruhigt den Kreml die schnell wachsende Zahl von IS-Jihadisten russischer Zunge. Sie stellen nach Tunesien und Saudiarabien inzwischen das drittgrößte Ausländerkontingent in den IS-Reihen. Diese islamistischen Gewalttäter will Putin lieber direkt auf syrischem Boden bekämpfen als zu warten, bis sie eines Tages nach Russland zurückkehren. Gleichzeitig könnten russische Jets den Kampf gegen den IS als Vorwand nutzen, um andere Rebellengruppen mitzubombardieren. Moskau würde so das verbündete Assad-Regime direkt entlasten und seiner demoralisierten Armee unter die Arme greifen.

Nicht zuletzt dürften in Putins Militärpoker strategische Gründe eine Rolle spielen. Sollte es eines Tages doch zu einer Machtteilung zwischen dem Baath-Regime und der Opposition in Damaskus kommen, wäre Moskau mit eigenen Truppen vor Ort, könnte einen Totalzerfall der syrischen Streitkräfte verhindern und die eigene Präsenz im Land sichern. Ein Rest-Syrien unter Kontrolle einer Übergangsregierung bliebe nicht primär dem Einfluss von Iran und Hisbollah überlassen. Und die neu an der Macht beteiligten Oppositionskräfte könnten Moskau wegen der Waffenbruderschaft mit dem verhassten Regime nicht einfach kurzerhand den Sessel vor die Tür setzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2015)

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