Herzens-Wissenschaft: Die Mathematik der Liebe

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Den Ausgang einer Beziehung prognostizieren – das gelang Oxford-Mathematikern. Aber auch Therapeuten kennen Indizien für oder gegen die Fortdauer einer Partnerschaft. Lassen sich Beziehungen in Formeln zwängen?

Was beginnt mit Romantik und endet mit einer Rechnung von mindestens 198 Euro? Nein, es ist nicht eine Nacht im Doppelzimmer eines Hotels in Venedig oder Paris, wie die Suchmaschine Google vorschlägt – sondern, fast genauso aufregend, die Ehe. Zumindest in 49 Prozent aller Fälle, denn so oft endeten in Österreich geschlossene Ehen im Jahr 2007 mit der Scheidung, erwähnte gerichtliche Bearbeitungsgebühr inklusive.

Angesichts dieses historischen Rekordwerts drängt sich eine Frage geradezu auf: In einer Zeit, in der jede bessere Partnervermittlungsagentur potenziell miteinander „glückliche“ Männer und Frauen auf Basis von Persönlichkeitsprofilen zueinander dirigiert – lässt sich da nicht längst vor dem Ringtausch feststellen, ob zwei Menschen auf Dauer überhaupt zusammenpassen?

Die Antwort beginnt mit „j“ und endet mit „a“. Zumindest dann, wenn man über ausreichend Verständnis für mathematische Modellbildung und deren geschickte Interpretation verfügt. So gelang es einer Gruppe von Mathematikern rund um den Oxford-Professor James Murray, mit 94-prozentiger Erfolgsquote vorauszusagen, ob eine Ehe längerfristig bestehen oder zerbrechen würde. Nur dass die (für mathematische Verhältnisse) scheinbar so lebensnah agierenden Wissenschaftler sich wenig für Scheidungsvermeidung interessierten.


Formel für Beziehungen. Vielmehr bewegte sie eine viel grundsätzlichere Frage: Jene nach der Determiniertheit menschlicher Interaktion oder nach der Existenz von Gleichungen, die das beschreiben, was zumindest laut dem romantischen Beziehungsbegriff nie und nimmer in eine Formel gepresst werden kann: Liebe.

Begonnen hat die Arbeit der Forscher so wie wahrscheinlich die meisten Beziehungen der 700 involvierten Ehepaare: mit Gesprächen über Lebensthemen – Zukunftswünsche, Wohnverhältnisse, Sex, Partnerschaft. Im Beisein von Psychologen unterhielten sich die Frischverheirateten jeweils 15 Minuten lang über ein Thema und erhielten Plus- und Minuspunkte für bestimmte Verhaltensmuster. Hoch dotiert waren Äußerungen, die Humor, Zuneigung, Interesse oder Bestätigung des Partners durchblicken ließen. Die Talfahrt des Punkteindex hingegen bewirkten Missachtung, Empörung, Angriffslust oder Defensivpositionen.


Koordinatensystem Liebe. Aus den Daten lassen sich nun verschiedene Schlüsse ziehen: Betrachtet man die X-y-Ebene eines zweidimensionalen Koordinatensystems als „Mann-Frau-Ebene“ und notiert auf einer Achse die Punkte des Mannes nach einer bestimmten Zeit, auf der anderen jene der Frau, so lässt sich eine Aussage über die Grundstimmung eines Paares treffen: Die meisten der Kurven resultierten nach einigen Fluktuationen in einem Bereich: War dieser positiv, wurde das Paar als glücklich eingestuft, war er negativ, als unglücklich.

Ob eine Ehe letztlich zerbrechen würde, erkannten die Forscher an der „Einflussfunktion“. Sie beschreibt, wie ein Partner auf den anderen reagiert – ob also die Frau auf Vorwürfe ihres Mannes eher aggressiv oder beschwichtigend antwortet und umgekehrt – bzw. ob Positives angenommen oder zurückgewiesen wird. Entscheidend war jener Bereich, in dem die Einflussfunktion den Nullpunkt erreichte: Dieser lässt sich als stabiler emotionaler Zustand eines Ehepartners interpretieren, weil er dabei unbeeinflusst vom Partner in einer bestimmten Stimmung verweilt.

Für das Bestehen einer Ehe, so postulierten die Wissenschaftler, sollte mindestens einer dieser Zustände für beide Partner positiv sein. War die „Dauerlaune“ hingegen negativ, lag das vor, was James Murray eine „troubled marriage“ nennt – eine krisenanfällige Ehe. Tatsächlich trennten sich 94 Prozent der Paare, die im Zuge der zwölf folgenden Jahre regelmäßig interviewt wurden, genau entsprechend der Voraussage. Oder eben nicht.

So schnell lassen sich Liebesbeziehungen also ins Korsett der Zahlen und Gleichungen zwängen? „Ich weiß, niemand denkt gerne, dass sich Emotionen mathematisch formulieren lassen“, meint James Murray. „Ich war selbst erstaunt.“ Der Wissenschaftler spricht von einer „neuen Sprache für soziale Interaktion“ – obwohl genau genommen manche Indikatoren einem anderen Fachgebiet schon länger bekannt sind: der Psychotherapie. Der amerikanische Paartherapeut John Gottman entdeckte im Zuge langjähriger Paarbeobachtungen vier „apokalyptische Reiter“, also Verhaltensweisen, die die Partnerschaft langfristig zerstören: erstens bösartige Kritik anstatt sachlicher Beschwerde, zweitens Verteidigung bei Kritik anstatt Auseinandersetzung, drittens Verachtung dem Partner gegenüber und viertens Rückzug bei Konflikten statt Problemlösung.


Erinnerung an glückliche Zeiten. Die Psychotherapeutin Claudia Wille kann das Konzept aus ihrer Praxiserfahrung bestätigen: Sind bei einem Paar alle vier apokalyptischen Reiter erkennbar, sieht sie selbst mit Therapie wenig Chancen für die Beziehung. Wille weiß aber noch um einen weiteren Beziehungsindikator mit starker Aussagekraft: „Wenn keiner der beiden Partner sich an glückliche Zeiten ihrer Beziehung erinnern kann, trennt sich das Paar langfristig – das hat in meiner Erfahrung jedes Mal zugetroffen.“ Gibt es andere Voraussetzungen für den Erfolg einer Paartherapie? Wille: „Arbeitswille ist gut, aber vor allem muss man bereit sein, sich selbst zu verändern, nicht den Partner.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2009)

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