Landwirtschaft: EU baut Staudämme für Milchseen

BELGIUM EU AGRICULTURE FARMER PROTEST
BELGIUM EU AGRICULTURE FARMER PROTEST(c) APA/EPA/LAURENT DUBRULE (LAURENT DUBRULE)
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Agrarminister suchen nach Mitteln gegen Preisverfall bei Milch. Der österreichische Ressortchef Rupprechter erwartet einen höheren EU-Interventionspreis.

Brüssel/Wien. In der Europäischen Union geht die Angst vor Milchseen und Butterbergen wieder um. Während vor dem Brüsseler Ratsgebäude Justus Lipsius Milchbauern in Traktoren am gestrigen Montag Stellung bezogen, um gegen den Verfall der Milchpreise zu protestieren, sprachen im Hauptquartier des Rats die Landwirtschaftsminister der EU über die jüngsten Probleme im Agrarbereich. Ausgangspunkt der Debatte: Während im Vorjahr ein Liter Milch ab Hof um rund 40 Cent verkauft wurde, erhalten Milchbauern in der EU derzeit im Schnitt knapp 30 Cent pro Liter.

Interessenvertreter wie das European Milk Board (EMB) warnen vor einem Bauernsterben in der Union: „Für die Erzeuger geht es um die Existenz der Höfe“, ließ der EMB-Vorsitzende Romuald Schaber gestern in einer Presseaussendung wissen. Den einzigen Ausweg aus der Krise sieht Schaber in der Wiedereinführung der Anfang des Jahres abgeschafften Milchquoten. Bis März 2015 war es Usus, die Milchproduktion länderweise zu deckeln. Überschritt ein Erzeuger die von Brüssel vorgegebene Produktionsmenge, musste er eine Pönale – die sogenannte Superabgabe – entrichten. „Ohne eine Reduktion der Produktion wird sich der Markt weiter verschlechtern“, glaubt der EMB-Vorsitzende. In Österreich fordert die IG Milch einen Milchpreis von 50 Cent pro Liter für konventionelle Milch und 60 Cent für Biomilch. 2014 gab es hierzulande 31.500 Milchbauern, sie produzierten rund drei Mio. Tonnen Milch.

Absatzmarkt China fällt weg

Mit der Abschaffung der Milchquote hatte die EU-Kommission beabsichtigt, die europäischen Landwirte an das freie Spiel von Angebot und Nachfrage heranzuführen und die Marktkräfte im lange Zeit geschützten Agrarbereich wirken zu lassen. Die Produzenten sollten auf Preissignale reagieren und neue Absatzmärkte für ihre Erzeugnisse suchen, so die Hoffnungen in Brüssel. In der Tat erhöhten die EU-Milchbauern ihre Produktion im Vorjahr um gut vier Prozent, auch die Landwirte in den USA und Neuseeland steigerten 2014 ihren Output. Ihre (oftmals nicht ausgesprochene) Hoffnung: Die wachsende Mittelschicht in der Volksrepublik würde nach Milch, Rahm und Joghurt dürsten. Doch dann kam den Milchbauern die chinesische Wirtschaftskrise in die Quere – und in der EU wurde die Lage durch den Konflikt mit Russland verschärft, denn Moskau antwortete auf die Sanktionen der EU im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise mit einem Importverbot für europäische Lebensmittel.

Angebot und Nachfrage waren damit in ein eklatantes Ungleichgewicht geraten – allerdings ist die Lage nicht überall gleich dramatisch. Während etwa die irischen Milchbauern beim derzeitigen Preisniveau dem Vernehmen nach immer noch profitabel produzieren können, bekommen die Landwirte im von der Russland-Krise besonders stark betroffenem Baltikum derzeit nicht mehr als 20 Cent pro Liter – wobei hier der Interventionspreis der EU bereits greift, denn die Union erlaubt staatliche Aufkäufe der Milchprodukte, sobald der Literpreis unter 22 Cent gefallen ist.

Kommissionsvizepräsident Jyrki Katainen (er vertrat gestern den erkrankten Agrarkommissar Phil Hogan) präsentierte den Ressortchefs ein 500 Mio. Euro schweres Hilfspaket – es umfasst unter anderem eine vorgezogene Überweisung der agrarischen Direktzahlungen und EU-Mittel für ländliche Entwicklung, mehr Geld für Lagerung überschüssiger Agrarprodukte sowie Hilfe bei der Suche nach neuen Absatzmärkten. Nicht enthalten war darin die von Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) im Vorfeld geforderte befristete Anhebung des EU-Interventionspreises auf 25 Cent pro Liter. (ag/la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2015)

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