Leihbabys, böse Teenies: "Sozial-Grusel" aus dem TV

Erwachsen auf Probe
Erwachsen auf Probe(c) RTL
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Nichts tut der Quote so gut wie voyeuristische Doku-Soaps. Am besten mit einem Skandal schon vor der Sendung – wie dem um Babys als "Requisiten". Der Sender RTL sagt "Danke, Danke und nochmals Danke".

Der Sender RTL sagt „Danke, Danke und nochmals Danke“ für die kostenlose und breitenwirksame Publicity, die ihm seit Tagen von vielen öffentlichen Stellen frei Haus geliefert wird. Objekt der allgemeinen Erregung ist die Sendung „Erwachsen auf Probe“, die ab 3. Juni ausgestrahlt wird. Darin probieren fortpflanzungswillige Teenager vor laufenden Kameras aus, ob sie tatsächlich schon geeignet sind, Eltern zu werden. Allerdings nicht an Puppen, sondern am lebenden Objekt: an bis zu einem Jahr alten Babys, die ihnen für diesen Zweck von den Eltern der Säuglinge geborgt werden.

Seit das Format der Sendung im Detail bekannt wurde, reißt die Kritik nicht mehr ab. Der Deutsche Kinderschutzbund ist „schier entsetzt“, der Hebammenverein spricht von einer „neuen Form der Prostitution“, die Kinderkommission des Deutschen Bundestags und drei Landesmedienanstalten forderten den Sender auf, die Serie nicht auszustrahlen. Auch die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie die Liga für Kinder- und Jugendgesundheit protestierten heftig. Dem Vernehmen nach sollen sogar Anzeigen wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht gegen die Eltern überlegt werden.

Egal, aus welcher Richtung sie kommen, die Kritiker treffen sich alle an einem Punkt: Es sei unzulässig, wehrlose Babys für derartige soziale Experimente zu missbrauchen, die letzten Endes nur der Steigerung der TV-Quote dienten. Gerade in diesem Alter riskiere man eine Bindungsstörung, die sich negativ auf die Entwicklung der Kinder auswirken könnte.

Demgegenüber steht allerdings der positive Bescheid der deutschen Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen, die erkannte, dass die Teilnehmer nicht zu voyeuristischen Objekten degradiert würden und ihre Menschenwürde intakt bliebe. Auch das Fazit einer teilnehmenden Mutter liest sich durchaus unaufgeregt. Bevor Katrin B. zustimmte, ihren Sohn Lasse (zehn Monate) „herzuborgen“, stellte sie Bedingungen: Sie wollte bei den Dreharbeiten ständig anwesend sein; jede Nacht mit ihrem Sohn verbringen; die Möglichkeit haben, Lasse jederzeit in die Arme zu schließen oder das Experiment abzubrechen. All das sei erfüllt worden.

Kritik kommt zu spät. Obwohl die Schlacht um die „geborgten Babys“ sicher mit den besten Absichten geführt wird, zeichnet sie sich auch durch eine gewisse Absurdität aus. Vor allem deshalb, weil die Kritik etwas spät kommt – nämlich „post factum“. Denn die Sendung ist seit langem abgedreht, der angebliche Schaden wurde den Kindern damit also bereits zugefügt.

So manche dissonante Stimme in den heftigen Chat-Debatten zu dem Thema wollte auch wissen, ob es denn schlimmer sei, ein Baby unter kontrollierten Bedingungen vier Tage einem Teenagerpärchen auszuliefern oder ein Kind ab dem Alter von vier Monaten in einer Krippe unterzubringen, wie es in Ländern wie Belgien oder Frankreich gang und gäbe ist. Oder ein Kind im Alter von unter einem Jahr eine Woche von einem Verwandten oder Bekannten fremdbetreuen zu lassen, weil die Eltern ungestört Urlaub machen wollen oder ein alleinerziehender Elternteil ins Spital muss?

Ein unzulässiges Argument, sagt der Wiener Kinderarzt und Kinderpsychiater Klaus Vavrik: „In einer Notsituation muss man Kindern so etwas zumuten. Und in der Krippe gibt es eine primäre Bezugsperson, zu der das Kind eine Bindung aufbaut.“ Vor allem aber ärgert ihn, dass die betroffenen Eltern ihren pädagogischen Dienst wohl nicht ganz ohne „Aufwandsentschädigung“ geleistet haben dürften: „Das wäre dann wohl die früheste Form von Kinderarbeit.“

Der Sender RTL wiederum schwingt hübsche Reden vom „pädagogischen Nutzen“ für die Teenager, lässt aber ungesagt, was nicht nur Medienexperten wissen: dass die unsäglichen „Doku-Soaps“ rund um Kinder oder Teenager der TV-Quote nicht gerade schlecht tun. Mit der ebenfalls heftig kritisierten „Super-Nanny“ (RTL) begann es, seit einiger Zeit sind ungebärdige Teenager der Renner: „Teenager außer Kontrolle“ (RTL), „Teenager werden Mütter“ (ATV), „Die strengsten Eltern der Welt“ (Kabel 1). Sat 1 zieht am 15. Juni gleich doppelt nach: „Die Super-Lehrer“ und „Jugendcoach Oliver Lück“ sollen böse Jugendliche wieder auf den rechten Weg bringen. Dass mit diesem Trend die Jugend immer mehr zum gesellschaftlichen Feindbild stilisiert wird, scheint aber nicht so viele aufzuregen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2009)

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