Neos: "Unser Antrieb ist Wut"

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Was wollen die Neos eigentlich? Die Wiener Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger erklärt ihr Verhältnis zum Liberalismus, warum Gymnasien gut, aber nicht wichtig sind und warum sie sich eine Citymaut vorstellen kann.

Die Presse: Über die Neos wird oft gesagt: „Ich weiß nicht, wofür die genau stehen.“Während man den anderen Parteien zumindest Schlagwörter zuordnen kann – etwa der SPÖ den Gemeindebau oder der FPÖ das Ausländerthema –, gelingt das bei Ihnen nicht. Ist das nicht ein Problem?

Beate Meinl-Reisinger: Solche Zuschreibungen wurden über die Jahre gelernt. Für eine junge Partei ist es daher eine Herausforderung, in einem Wort zu sagen, wofür man steht. Aber wenn ich eines wählen müsste, wäre es „Veränderung“.

Veränderung ist ein Prozess, kein Inhalt.

Das hängt mit unserer Gründung zusammen. 2012 sind wir – damals 40 Leute – zusammengekommen, weil wir das politische System nicht mehr ausgehalten haben. Unser Antrieb ist Wut. Wir kämpfen für Veränderung und gegen ein politisches System, dem es nur noch um Machterhalt geht und das in wichtigen Bereichen keine Reformen zustande bringt.

Bleiben wir bei der Wut. Darf ich Ihnen etwas vorlesen? „Ein Kernanliegen von uns ist es, einen anderen Stil in die Politik zu bringen, nämlich Wertschätzung in der Zusammenarbeit. Ich kann jemanden wertschätzen, auch wenn ich anderer Meinung bin.“ Sie wissen, wer das gesagt hat?

Matthias Strolz oder ich.

Sie. Wie passt dieser Anspruch damit zusammen, dass Sie Politiker „gstopft“ und die Politik „faul, fett und filzig“ nennen?

Das ist zugespitzt, aber wir kämpfen in Wien gegen eine Politik, die faul, fett und filzig ist. Ich finde die Beschreibung sogar noch nett. Ich nenne es manchmal auch Korruption. Sie zu kritisieren ist unsere Aufgabe.

Und nachzufragen ist unsere: Warum haben Sie auf die Frage, wofür Sie stehen, denn nicht Liberalismus gesagt?

Wir haben ein liberales Grundgerüst, aber wir haben uns nicht gegründet, weil wir, sozusagen auf dem Reißbrett, gefunden hätten, dass in Österreich eine liberale Partei fehlt.

Zu Beginn waren die Neos aber liberaler und haben öfter über Privatisierungen gesprochen. Da meine ich nicht einmal die unglückliche Wasserdebatte: Sie haben gefordert, dass es für Private möglich sein soll, Gemeindewohnungen zu kaufen. Jetzt haben Sie Ihre Meinung geändert und fordern sogar mehr Gemeindewohnungen.

Ich bin eine Pragmatikerin, keine Ideologin. Beispiel Gemeindebau: Natürlich ist es wichtig, Eigentumserwerb zu ermöglichen. Viele Experten sagen mir aber, dass das im Gemeindebau nicht gut funktionieren würde, weil das zu Spekulation führen würde. Wofür ich aber nach wie vor bin: Wer mehr verdient, soll für seine Gemeindewohnung mehr zahlen.

Es gäbe mehr, was man in Wien privatisieren könnte. Aber die Neos haben aufgehört, darüber zu reden. Offenbar haben Sie Angst, im neoliberalen Eck zu stehen.

Sie haben vorhin gesagt, man wisse nicht, wofür wir stehen. Deshalb haben wir uns im Wahlkampf für ein Hauptanliegen entschieden, nämlich gegen dieses starre System anzutreten, dem es nur um Machterhalt geht.

Wären Sie Journalistin, würde man Ihnen Politikerbashing vorwerfen. Dabei sind Sie selbst fast Ihr ganzes Berufsleben lang in der Politik, vor den Neos eben bei der ÖVP.

Ich war Angestellte, ich hatte keine Funktion. Ich habe mich auch nicht zugehörig gefühlt.

Wie hält man den Widerspruch aus, Profipolitikerin zu sein und gleichzeitig die Politik zu verachten? Die Neos bezeichnen sich– fast wie früher Jörg Haider – ja lieber als Bewegung denn als Partei.

Ich verachte die Politik nicht, das System ist aber verkrustet und starr. Und: Wir sind eine Bewegung. Das Modell der Mitgliederpartei ist veraltet. Bewegung drückt auch eine Haltung aus: sich ständig zu verändern. Darum steht in unseren Statuten, dass man nach zwei Funktionsperioden in einer Regierungs- oder einer gewählten Funktion ausscheiden muss. Das ist mir persönlich wichtig. Ich muss das Gefühl haben: Ich kann da jederzeit raus.

Wir haben das Gefühl: Die Neos sind schwer zu fassen. So sind Sie zwar für die Sonntagsöffnung, aber gegen Tourismuszonen. Und Sie wollen, dass nur jene aufsperren, die als Eigentümer selbst im Geschäft stehen – Zitat: „Ich sehe nicht die Qualität, wenn der H&M am Sonntag offen hat.“

Das stimmt, ich sehe sie nicht, aber ich will eine Tourismuszone für ganz Wien. Mir geht es auch um Nahversorgung und Greißlersterben: Gerade kleine Geschäfte können sich nur über längere Öffnungszeiten positionieren. Und es geht auch um das Stadtbild: Wir haben sehr viele leere Geschäftslokale.

Sie wollen eine Bobo-Sonntagsöffnung?

Nein, ich verstehe nur nicht, warum der Supermarkt auf dem Bahnhof aufsperren darf, und der Greißler nicht. Das ist absurd.

In Ihrem Modell wird der Greißler bestraft, der sich einen Angestellten leisten kann. Ist das gerecht?

Man muss das in zwei Schritten zu lösen. Zunächst soll ein Unternehmer, wenn er selbst im Geschäft steht, entscheiden dürfen, wann er aufsperrt. Vor allem für migrantische Unternehmer, die Shops im Familienverband betreiben, ist das eine Chance. Über den Arbeitnehmerschutz muss man extra reden.

Ein Neos-Schwerpunkt ist Bildung. Allerdings sind sich hier nicht nur die Plakate, sondern auch die Forderungen von Neos und Grünen zum Verwechseln ähnlich.

Ja, weil sie uns nachgehüpft sind. Wir setzten viel konkreter als die anderen Parteien bei der Schulautonomie an: Wir wollen budgetäre, pädagogische und personelle Autonomie für die Schulen. So weit gehen die Grünen nicht.

Keiner versteht so recht, ob die Neos nun für oder gegen die Gesamtschule sind.

Und ich verstehe nicht, warum man nur aus bestehenden Strukturen heraus denken kann. Wir sind für eine Vielfalt von autonomen Schulen, die in eine mittlere Reife münden.

Soll das Gymnasium denn bleiben?

Das Gymnasium kann weiter bestehen, aber die Zukunft der Stadt entscheidet sich allein bei der Frage, welche Qualität unsere Pflichtschulen haben.

Bei Matthias Strolz hat man den Eindruck, dass er unbedingt regieren will. Ihnen liegt eher die Oppositionsrolle, korrekt?

Ich erfülle jede an mich gestellte Herausforderung mit großer Ernsthaftigkeit – im Moment ist das Oppositionsarbeit. Zum Beispiel bei der Kontrolle der Regierung. Ich halte es nicht wie Kathrin Nachbaur für „zu mühsam“.

Ursprünglich wollten Sie in Wien ein zweistelliges Ergebnis, zuletzt nur mehr sieben Prozent plus. Wie sieht es aktuell aus?

Prozentzahlen interessieren nur Journalisten. Ich will stark genug werden, um meine Forderungen umzusetzen.

Über Koalitionsvarianten haben Sie aber sehr wohl geredet: Eine Koalition mit der FPÖ ist für Sie ausgeschlossen.

Ja, das ist mir ein Anliegen. Man muss nicht ganz links stehen, um Strache abzulehnen.

Wenn man die FPÖ ausschließt, bleiben Rot-Grün-Pink oder Rot-Schwarz-Pink. Welche wäre Ihnen denn lieber?

Die, die unsere Forderungen umsetzt.

Wir wissen, Sie wollen gern das Bildungsressort, aber was wären Ihre Pläne für den Verkehr? (Publikumsfrage)

Wir fordern eine integrierte und überregionale Verkehrsplanung, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs gerade in Gebieten wie im 21. und 22.Bezirk, wo es kaum Querverbindungen gibt und die Menschen daher auf das Auto angewiesen sind. Prinzipiell ist der Individualverkehr nicht die Zukunftslösung für eine Stadt, es wird ihn aber geben und brauchen.

Wären Sie denn für eine Citymaut?

Ich kann sie mir vorstellen, wir wollen Schritt für Schritt zu einer Reduktion des Einpendlerverkehrs innerhalb des Rings.

WAHL-TALKS

Termine. Das Gespräch mit Beate Meinl-Reisinger war der Auftakt der „Wahl-Talks“ der „Presse“ zur Wiener Gemeinderatswahl. Bei den Gesprächen im „Heurigensalon“ im G'schupften Ferdl (Windmühlgasse 20, 1060 Wien) haben Interessierte die Möglichkeit, Fragen an die Spitzenkandidaten zu stellen. Nächste Woche sind Grüne, ÖVP und SPÖ an der Reihe: Maria Vassilakou (Mo, 14. 9., 18 Uhr), Manfred Juraczka (Di, 15. 9., 18 Uhr) und Michael Häupl (So, 17. 9., 18 Uhr). Am 29. 9. (18 Uhr) folgt Heinz-Christian Strache (FPÖ). Anmeldung unter:

www.diepresse.com/heurigensalon

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2015)

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