Österreichs Spieler können das Ausmaß des Erfolges noch nicht begreifen. Teamchef Koller stimmt sich mit Baguette und Baskenmütze auf die EM ein.
Solna/Wien. In der Mixed Zone der Friends Arena regierte Ungläubigkeit. Die Spieler der Nationalmannschaft wirkten gefasst, ja sogar fast konsterniert. Die Realität, also das 4:1 gegen Schweden und damit die erstmals vollbrachte EM-Qualifikation, sie schien irgendwie nicht greifbar. Natürlich, jeder Spieler trug ein Grinsen im Gesicht, den Freudentränen nahe war aber niemand. „Das ist es, was wir verdient haben“, sagte Marko Arnautović, um dann doch das Ausmaß des Erfolgs zu skizzieren. „Russland und Schweden, das war ja keine schlechte Gruppe. Jetzt sind wir Erster. Das kannst ja eigentlich nicht glauben . . .“
Arnautović war einer jener Spieler, die wenig später nicht in die Charter-Maschine nach Wien stiegen. Er bevorzugte einen Direktflug nach England zu seinem Klub Stoke City am Tag nach dem Spiel, es bot sich also noch ein Ausflug ins Stockholmer Nachtleben an. „Ich habe noch nicht gehört, was passiert ist“, sagte Teamchef Marcel Koller mit einem leichten Schmunzeln am Mittwoch vor versammelter Presse in Wien. Es war eine kurze, aber umso intensivere Nacht für den Schweizer, dem nicht erst seit der geschafften Qualifikation viel rot-weiß-rote Liebe entgegengebracht wird.
Die große Party ist nur aufgeschoben
Vor dem Abflug vom Stockholmer Flughafen Arlanda lang nach Mitternacht schüttelte Koller noch etliche Hände. Er lächelte in die Kameras der Fotografen, trank genüsslich von seinem Bier, stieß auch mit Herbert Prohaska an. Im Flugzeug gratulierte zunächst die Crew via Bordansage, dann ergriff ÖFB-Präsident Leo Windtner das Wort. „Vive la France, nous viendrons – es lebe Frankreich, wir kommen.“
Womöglich hatte sich Windtner hoch über den Wolken gerade Gedanken darüber gemacht, wie Koller über die Europameisterschaft hinaus als Teamchef zu halten sein könnte („Wir werden bald Gespräche führen, ich möchte eine Entscheidung vor der EM“), als der Schweizer den Betreuerstab um 3.15 Uhr zu einer Polonaise bat. Die sieben Spieler an Bord (Harnik, Almer, Garics, Suttner, Janko, Jantscher, Dragović) genossen die Ruhe in den vorderen Reihen. „Nach so einem Spiel bist du einfach erschöpft“, sagte Marc Janko, für den Mittwochabend die Reise nach Basel auf dem Programm stand. Dass die Mannschaft nach dem Spiel nicht geschlossen in Schweden feiern konnte, die Vereine auf eine baldige Rückkehr pochen, wertete Janko nicht als großen Wermutstropfen. „Nach dem letzten Heimspiel gegen Liechtenstein werden wir alle zusammen mit Freunden und Familie feiern. Darauf freuen wir uns.“
Einen kleinen Vorgeschmack auf die großen Feierlichkeiten am 12. Oktober bekam Janko noch auf dem Schwechater Flughafen. Um vier Uhr warteten rund 200 Fans in Feierlaune auf Spieler und Teamchef.
Die Auslosung, ein Vorgeschmack
Österreichs Fußball erfreut sich aktuell eines Höhenflugs, den es in dieser Form noch nie zuvor gegeben hat. In der nächsten Fifa-Weltrangliste, die am 1. Oktober erscheint, dürfte die ÖFB-Equipe sogar auf Rang elf aufscheinen, also sich abermals um zwei Plätze verbessern. Die Teilnahme an der nächstjährigen EM-Endrunde in Frankreich (10. Juni bis 10. Juli) ist Gewissheit, auch vom ersten Rang in der Qualifikationsgruppe G kann man nicht mehr verdrängt werden. „Das ist schon eine unglaubliche Leistung“, staunte der Teamchef am Tag nach dem 4:1 in Schweden im Rahmen einer Pressekonferenz in Wien, zu der er mit Baskenmütze erschien und demonstrativ in ein Baguette biss. „Ich kann offiziell verkünden: Frankreich, wir kommen.“
Vor mehr als drei Monaten, nach dem richtungsweisenden 1:0-Sieg in Russland, hatte Koller sich selbst und seinen Spielern einen Maulkorb umgehängt, dessen man sich nun endlich entledigen durfte. Der Schweizer sprach von einer Entwicklung, die immer noch nicht abgeschlossen sei, von schlummerndem Potenzial und über eine Mannschaft, „von der man den Enkelkindern erzählen kann“. Die Gefahr, dass Österreichs Nationalteam die noch ausstehenden Qualifikationsspiele in Montenegro (9. Oktober) und abschließend drei Tage später zu Hause gegen Liechtenstein nicht mehr mit dem nötigen Ernst bestreitet, besteht unter Koller de facto nicht. Es geht weiterhin um wichtige Punkte, um Siege, um das Image dieser Mannschaft. Es winkt ein Platz in Topf zwei bei der Auslosung zur EM am 12. Dezember in Paris.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2015)