Urheberrecht: Oldtimer nur noch mit Lizenz zu restaurieren?

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ein Urteil des EU-Gerichtshofs könnte Fahrzeugherstellern das Recht geben, Neuaufbauten durch Dritte zu kontrollieren.

Wien. Das Auktionshaus Aguttes in Lyon hat einen der beiden originalen Gitterrahmen, die als Werkzeug zur Herstellung des Ferrari 250 GTO dienten, zum Verkauf angeboten. Gerade besonders wertvolle Klassiker vom Schlage des Ferrari 250 GTO oder eines Flügeltüren-Mercedes 300 SL werden häufig ohne Rücksicht auf die Kosten um die letzte Schraube bzw. um die Fahrzeugpapiere herum neu aufgebaut und gelten als Wertanlage. Wenn in jüngster Zeit auch original erhaltene Fahrzeuge massiv an Wertschätzung gewonnen haben, spielen Restaurierungen in der Szene, wie auch bei spezialisierten Werkstätten, eine wesentliche, auch wirtschaftliche Rolle.

Transfer von Papierpostern

Klassiker-Besitzern und darauf spezialisierten Werkstätten könnte der Europäische Gerichtshof (EuGH) aber mit einem Urteil zum Urheberrecht einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Das Urheberrecht endet, wenn 70 Jahre seit dem Tod des Urhebers vergangen sind. Es steht außer Zweifel, dass Karosserien, wie die genannten von Ferrari oder Mercedes, Urheberrechtsschutz genießen. Das Urteil erging zu einer scheinbar ganz anderen Sache: Pictoright, eine niederländische Verwertungsgesellschaft für Urheberrechte, klagte die Firma Allposters, einen Hersteller von Reproduktionen von Werken berühmter Maler, wegen Urheberrechtsverletzung. Allposters nahm Papierposter, die mit Lizenz von Pictoright hergestellt worden waren, und brachte darauf ein Laminat aus Kunststoff auf. Dann wurde die Abbildung auf dem Poster mittels eines chemischen Verfahrens vom Papier auf eine Leinwand übertragen. Die Abbildung des Posters wurde also auf die Leinwand transferiert. Schließlich wurde die Leinwand auf einen Holzrahmen gespannt.

Das zur Herstellung der Leinwand verwendete (lizenzierte) Papierposter war nach dem Transfer kaputt, weil die Farbe auf die Leinwand übertragen wurde. Das Ergebnis war eine dem Originalwerk wesentlich näher als das Papierposter kommende Replica. Auch die Lebensdauer der Leinwand ist höher als die von Papierpostern.

Was entschied nun der EuGH im Urteil C-419/13? Im Urheberrecht gilt das sogenannte Erschöpfungsprinzip. Das bedeutet, dass ein Werkstück, welches einmal mit Zustimmung des Urhebers in den Verkehr gebracht wurde, frei gehandelt werden darf. Das verkaufte lizenzierte Papierposter darf daher frei gehandelt werden. Das gleiche Erschöpfungsprinzip ist z.B. auch die Grundlage für den Handel mit gebrauchten Autos. Im Posterverfahren hat der EuGH nun entschieden, dass das Leinwandtransfer-Verfahren nicht vom Erschöpfungsgrundsatz gedeckt ist. Dies, obwohl die Zahl der Vervielfältigungsstücke des geschützten Werkes aufgrund der Übertragung der Abbildung und ihres Verschwindens vom Papierposter nicht zunimmt und obwohl auch die Tinte dabei nicht verändert wird und das Werk selbst völlig unberührt bleibt.

Nach dem EuGH-Urteil bezieht sich die für die Erschöpfung notwendige Zustimmung des Rechteinhabers nicht auf Gegenstände, die in einer Weise verändert wurden, dass sie einer Reproduktion des Werks gleichkommen. Ziel des Urheberrechts sei nämlich, den Urhebern die Möglichkeit zu geben, für die Nutzung ihrer Werke eine angemessene Vergütung zu erhalten.

Zum Leinwandtransfer meinte der EuGH daher, dass der Rechteinhaber mit der Lizenzierung von Papierpostern nicht auch deren Transfer auf Leinwand zugestimmt hat, sodass der Erschöpfungsgrundsatz nicht greift. Dem Urheber würde sonst die Möglichkeit genommen, die Verbreitung dieser Replica zu verbieten oder für die Verwertung seiner Werke eine angemessene Vergütung zu verlangen.

Auch ein Klassiker wird häufig so wiederhergestellt, dass er einer neuen Reproduktion des ursprünglichen Werks gleichkommt. Jedenfalls wird die Lebensdauer des Fahrzeugs über den erwarteten – und vom Hersteller wohl intendierten – Nutzungszeitraum hinaus erstreckt. Der Hersteller wird also daran gehindert, ein neues Fahrzeug zu verkaufen, wenn das alte weiter genutzt wird, zumindest aber daran, sein Design selbst um die letzte verbleibende Original-Schraube wieder aufzubauen.

Die Sorge der Hersteller vor einem Straßenbild voller „unbequemer“ Oldies mag begrenzt sein. Es ist aber nicht abwegig anzunehmen, dass manche Hersteller ihre Urheberrechte dafür nutzen könnten, sich das Monopol für die Restaurierung ihrer Klassiker zu sichern und die Lizenz nur ausgewählten Restaurateuren zu geben.

Instandsetzen Kern des Hobbys

Das Urteil könnte daher massive Auswirkungen auf die Oldtimerszene haben: Ein wesentlicher Teil dieses Hobbys ist ja nicht das Fahren mit den alten Autos, sondern ihre Wiederinstandsetzung, oder – wenn das Ausgangsfahrzeug entsprechend schlecht war – seine „Reproduktion“. Es könnte daher im Lichte des EuGH argumentiert werden, dass damit dem Urheber die Möglichkeit der weiteren Verwertung seines Werkes – der Karosserieform – genommen werde.

Der Urheber könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass er auch den Verdienst mit der Restauration und der Wiederherstellung seiner Fahrzeuge machen muss, weil eben die Urheberrechte noch nicht ausgelaufen und auch hinsichtlich der Reproduktion nicht erschöpft sind. Er könnte daher gegen jeden (nicht lizenzierten) Restaurator vorgehen, der durch Reproduktion urheberrechtlich geschützter Teile die Lebensdauer seines Fahrzeuges über das übliche Maß hinaus verlängert. Er könnte aber auch gegen die Händler von auf diese Weise wiederauferstandenen Fahrzeugen vorgehen. Wenn aufwendig restaurierte Klassiker vom Schlage des Ferrari 250 GTO plötzlich als Urheberrechtsverletzungen gelten, könnte das auch massive Auswirkungen auf deren Handelbarkeit und damit auch deren Wert haben.

Diese Rechtsprechung kann es Fahrzeugherstellern ermöglichen, sowohl gegen den unlizenzierten Nachbau ihrer Karosserien vorzugehen als auch gegen die restaurierende Reproduktion. Mercedes veranstaltet bereits jetzt regelmäßig die publikumswirksame Schredderung von Kunststoff-Nachbildungen des Flügeltürers. Autohersteller könnten sich auch die Restaurierung ihrer Klassiker und den Handel damit vorbehalten.

Rainer Schultes ist Gründungspartner der Geistwert Rechtsanwälte in Wien.
rainer.schultes@geistwert.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2015)

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