Die Sikh-Fehde in Wien zeigt: Diese Polizei kann Parallelwelten ebenso wenig orten wie die Politik sie verhindern.
Es hätte ein schönes Motiv für die Kameras werden sollen: Lächelnd präsentierten Wiens Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger und die Klubchefin Mary Vassilakou gemeinsam ihre Wiener Zuwanderungskommission, VP-Klubchef Mathias Tischirf durfte auch noch mit.
Doch leider war das Interesse daran dürftig. Das Thema Ausländer in Wien war am Montag aus einem ganz anderen Grund im medialen Fokus – international: wegen eines in Österreich bisher einzigartigen Mordes mitten in der Stadt. In einem Gebetshaus im 15. Bezirk war ein Prediger von in Österreich lebenden Indern attackiert und getötet worden, beim dadurch ausgebrochenen Handgemenge gab es mehrere teils schwer Verletzte. Während die Zusammensetzung der ehrenwerten Kommission für geordnete und gewünschte Zuwanderung verkündet wurde, rang anderenorts die Adressatin mancher Forderungen der kleinen Wiener Dreierkoalition um Worte: Innenministerin Maria Fekter musste am Rande der Pressekonferenz über sicheres Reisen (!) eingestehen, dass die österreichische Polizei nicht über die massiven Verwerfungen und Probleme innerhalb der kleinen Sikh-Gemeinde Bescheid gewusst habe, sondern erst am Sonntag von der indischen Botschaft davon erfahren hatte. Da war es schon zu spät. Dass es in der Sikh-Gemeinde Streitereien gegeben hatte, wussten Lokaljournalisten und -politiker, die sporadisch Kontakt zu den Vertretern der Community hatten, das nur nebenbei.
Die Innenministerin lenkte davon, ganz politischer Profi, schnell ab: Im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung werde eine Schwerpunktgruppe eingesetzt, die sich um die „Abwehr von Religionsfanatikern“ kümmern soll. Das wirft die Frage auf: Warum gibt es diese „Schwerpunktgruppe“ nicht längst? Schon vor zwei Jahren waren aus der islamischen Glaubensgemeinschaft Warnungen vor extremistischen moslemischen Predigern laut geworden. Seit damals hat Heinz-Christian Strache seinen Lieblingsbegriff für Wahlplakate: Hassprediger. Auch wenn FPÖ und Boulevardzeitungen dieses Problem immer übertrieben darstellten, es existiert und wäre Grund genug für die Schaffung einer solchen Einheit gewesen.
Es spricht viel dafür, dass der österreichische Geheimdienst mit den komplexen religiösen Konflikten unter den Sikhs genauso überfordert war wie mit dem inneren tschetschenischen Frontverlauf und anderen politischen und ethnischen Konflikten, die Asylwerber und Zuwanderer nach Österreich brachten. Das ist zwar durchaus verständlich, aber in einer globalisierten multikulturellen Welt unbefriedigend und gefährlich. Die ersten politischen Reaktionen der üblichen Verdächtigen lassen auch nicht den Schluss zu, dass irgendjemand eine Lösung hat: Eine lokale FP-Gruppe will Sikh-Tempel überwachen lassen. Deren Ex-Parteifreund Ewald Stadler, der für die Kärntner FP-Absplitterung bei der EU-Wahl kandidiert, fordert ein Einreiseverbot für „Problemgurus und Hassprediger“. Denn: „Wir können nicht das Aufmarschgebiet für alle Wahnsinnigen werden.“ Das spricht ein bisschen dafür, dass wir das schon sind. (FP-Chef Heinz-Christian Strache traf übrigens zeitgleich Exponenten der georgischen Opposition, um einer friedlichen Lösung des Konflikts zwischen Russland und Georgien um die Provinzen Südossetien und Abchasien näherzukommen, wie es von FP-Seite hieß. Aber das nur nebenbei.)
Nein, weder Eliteeinheiten der Polizei namens „Schwerpunktgruppen“ noch abstruse politische Maßnahmen können Fälle wie jenen vom vergangenen Sonntag ausschließen. Aber das Wissen, dass es in diesem Land höchstwahrscheinlich mehrere parallele Welten gibt, aus denen Probleme für die öffentliche Sicherheit entstehen können, wäre eine wichtige Einsicht. Auch eine sympathische, durchaus notwendige offenere Einwanderungspolitik, wie sie die lieben Wiener Stadt- und Gemeinderäte durch die rosa Brille sehen, wird Derartiges in Zukunft nicht ausschließen. Aber ein paar Maßnahmen könnten vielleicht helfen: Die Verfassungsschützer könnten international stärker auf Konfliktlinien achten – vielleicht in enger Zusammenarbeit mit den Botschaften, in denen es dem Vernehmen nach Potenzial für weitere Aufgaben gibt. Der eine oder andere Kontakt in jeder Community für die Staatsschützer würde auch nicht schaden. Die Glaubensgemeinschaften könnten ihrerseits zudem in die Pflicht genommen werden, über interne Probleme regelmäßig Bericht erstatten zu müssen.
Ansonsten wird der Eindruck bleiben, das Innenressort komme immer zu spät.
Warum Wien? Die unterschätzte Gefahr Seite 1
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2009)