Ungarn: Orbán schlägt Grenztor zu

APA/EPA/BALAZS MOHAI
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Am Dienstag treten verschärfte Einwanderungsgesetze in Kraft. Illegalen Grenzgängern drohen in Schnellverfahren bis zu drei Jahre Haft. Und die Regierung bereitete die Ausrufung des Notstands vor.

Budapest/Wien. Ein Mann trägt unter dem linken Arm einen Schlafsack, unter dem rechten ein Kind. Eine junge Frau mit Kopftuch und ihr Begleiter gehen Hand in Hand über die Gleise, vorbei an dem Grenzstein. Als erster Akt auf ungarischem Boden zieht ein arabisch aussehender Mann an seiner Zigarette. Livebilder zeigen, wie Flüchtlinge Serbien hinter sich lassen. Im letzten Moment. Denn das Zeitfenster, oder besser: das 40 Meter breite Schlupfloch zu den Gleisen, die nach Ungarn führen, würde sich rasch schließen.

200 Kilometer nördlich reihten sich unterdessen hunderte Absolventen der Polizeischule zur Vereidigung auf dem Budapester Heldenplatz auf. Viktor Orbán war da. Die Beamten sollten nicht nur die „ungarische Heimat gegen aggressive Eindringlinge verteidigen, sondern auch das christliche Europa“, beschwor Ungarns Regierungschef laut Bericht der „Pester Lloyd“ die 880 Einsatzkräfte. Und die Polizisten, die nun an die Grenze entsandt werden, müssen laut Orbán vor allem eines: „Die Gesetze in menschlicher, aber kompromissloser Weise anwenden.“

Die Gesetzeslage hat sich seit Mitternacht dramatisch verändert. Der illegale Grenzübertritt ist ab heute, Dienstag, keine Ordnungswidrigkeit mehr. Er ist ein Verbrechen. Illegalen Migranten drohen bis zu drei Jahre Haft. Auch auf die Beschädigung des Stacheldrahts, den Ungarn entlang seiner 175 Kilometer langen Grenze zu Serbien hochgezogen hat, steht eine Freiheitsstrafe, genauso wie auf die Behinderung des Ausbaus dieses Grenzzauns. Offiziell wegen der Errichtung der 3,5 Meter hohen Barriere hat Ungarn seit Sonntag 4300 Soldaten an die ungarische Grenze entsandt. Es tauchten aber auch gepanzerte Fahrzeuge auf – die MG-Läufe gen Grenze gerichtet, wie Bilder zeigen.

Orbán: Werden viele ablehnen

Schon heute dürfte die Regierung Orbán aufgrund der neuen Gesetzeslage in einer Kabinettsitzung den Notstand wegen Masseneinwanderung verhängen. Den Behörden würde das umstrittene Vollmachten einräumen: Grundstücke könnten ohne juristische Genehmigung nach illegal Eingereiste durchsucht werden. Strafverfahren gegen ebendiese hätten Vorrang vor allen anderen Prozessen.

Auch über die Asylverfahren soll binnen acht Tagen entschieden werden. Bis zu 100 Fälle könnten die Juristen täglich abwickeln, die in der 160.000-Einwohner-Stadt Szeged nahe der ungarisch-serbischen Grenze sitzen, heißt es.

Asylwerber haben wenig Aussicht auf Erfolg. Er rechne damit, dass nun sehr viele Asylwerber abgelehnt würden: Das sagte Orbán am Montag in einem TV-Interview. Der Regierungschef hat mehrfach betont, dass er den Großteil der „Illegalen“ für Wirtschaftsflüchtlinge halte. Vor allem aber hat die Regierung Serbien als sicheres Drittland eingestuft – und will die Menschen nun dorthin zurückschieben, wie Orbán erklärte. „Unsere größte Befürchtung ist, dass Ungarn anstelle einzelner Entscheidungen die meisten Asylwerber schlicht ablehnt, weil sie aus Serbien kommen“, teilte zuvor Amnesty International Ungarn der „Presse“ mit.

Zugleich war völlig offen, wo die Asylwerber während der Schnellverfahren bleiben sollen. Pläne für die Errichtung der nun gesetzlich legitimierten Transitzonen entlang der Grenze wurden verworfen. Das mache keinen Sinn, teilte der ungarische Regierung mit. Wer einen Antrag an den weiter geöffneten offiziellen Grenzübergängen stelle, soll stattdessen in Flüchtlingslager gebracht werden. Platz gäbe es. Ungarn hat gestern die Lager geräumt. Schon in der Nacht wurden die ersten Menschen geweckt und weggebracht. Sonderzüge rollten etwa in das Flüchtlingslager Vámosszabadi, nur 50 Kilometer von Nickelsdorf entfernt.

Später gab es unbestätigte Berichte, wonach Ungarns Polizei 8000 Menschen direkt an die Grenze zu Österreich, nach Hegyeshalom, gebracht hat.
Zugleich strömten Flüchtlinge in Serbien durch das letzte 40 Meter breite Schlupfloch abseits der offiziellen Grenzübergänge nach Ungarn. Es waren mehr als je zuvor. Mindestens 7400 Menschen zählten die Behörden gestern. Dann kamen die berittenen ungarischen Polizisten, blockierten das Nadelöhr. Später verstellten sie die illegale Route mit zwei Güterwaggons. Über die offiziellen Grenzübergänge wie „Horgos 2“ durften Flüchtlinge „Reuters“ zufolge weiter in kleinen Gruppen ins Land.
Dann die nächste Meldung: Ungarn sperrte den Luftraum entlang der Grenze zu Serbien bis zu einer Höhe von 1350 Metern. Dadurch sollen Polizei, Militär und Sanitätern den Luftraum nutzen können, um ihren Aufgaben im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise nachzukommen, hieß es lapidar.

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