Lunacek: "Wir wollen nicht alle 'drinnen' haben"

Ulrike Lunacek in Presse Chat
Ulrike Lunacek in Presse Chat(c) (Michaela Bruckberger)
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Ulrike Lunacek plädiert für ein humanes Asylrecht, das Hand in Hand geht mit einem berechenbaren Migrationsmodell. Die Spitzenkandidatin der Grünen im Interview mit DiePresse.com.

DiePresse.com: Die EU hat ein Beliebtheits-, Sie ein Bekanntheitsproblem. Woran gilt es im Wahlkampf mehr zu arbeiten?

Lunacek: An der Beliebtheit der Europäischen Union, denn ich stehe für die Grünen, auch für die Europäischen Grünen und hier geht es darum, insgesamt das unter die Leute zu bringen, was wir als Europäische Grüne wollen. Das heißt, in Grüne Jobs - also Arbeitsplätze im Bereich Energieeffizienz und erneuerbare Energien - zu investieren. Es braucht gemeinsame europäische Lösungen. Die EU muss sozialer werden. Ich denke, hier haben wir gute Ansagen, und das ist das, was die Menschen auch hören wollen. Dass mich nicht alle Leute kennen, ist jetzt nicht das große Problem. Es gibt Menschen, die 99 Prozent Bekanntheitsgrad haben und Wahlen auch nicht gewinnen. Ich will gewinnen.


DiePresse.com: Vertauschte Rollen mit Johannes Voggenhuber: Wie hätten Sie sich an seiner Stelle verhalten?

Lunacek: Ich habe von Anfang an etwas gesagt, was er nicht hören wollte, nämlich, dass ich auch um den zweiten Listenplatz antreten würde. Es geht mir um die gemeinsamen Europäischen Grünen und nicht darum, ob ich jetzt Nummer eins bin oder Nummer zwei. Ich hätte es sinnvoll gefunden, wäre er damals angetreten.


DiePresse.com: Sie haben kürzlich erwähnt, die Nato sei für sie kein Zukunftsmodell. Soll ein anderes Bündnis an ihre Stelle treten? Wenn ja, wie soll dieses aussehen?

Lunacek: Nein, ich halte neue Militärbündnisse in Zeiten wie diesen nicht wirklich für sinnvoll. Die Nato ist ein Bündnis aus der Zeit des Kalten Krieges - sie ist für mich kein Zukunftsprojekt. Was ich will, ist eine gemeinsame Europäische Union, die auch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik macht, wobei der Schwerpunkt bei mir auf der Außenpolitik und der Konfliktprävention liegt. Wenn wir mehr in diese Bereiche investieren, dann wird es weniger bewaffnete Konflikte auf dieser Welt geben. Diesen Paradigmenwechsel, den fordere ich ein, und kein neues Militärbündnis.


DiePresse.com: Ernst Strasser will einen Krisenkoordinator, Sie nicht. Warum?

Lunacek: Ernst Strasser weiß nicht genau, was er will. Kommissionspräsident Barroso ist an und für sich der Koordinator der Kommission. Genau in dieser Wirtschaftskrise hat Barroso gezeigt, dass er das nicht schafft. Es geht nicht darum, jetzt zusätzlich einen weiteren Posten zu schaffen, sondern es geht darum, jemand anderen als Kommissionspräsidenten einzusetzen, der tatsächlich ein soziales Europa will, das auch in der Wirtschafts- und der Finanzkrise endlich Regeln für die Finanzmärkte macht. Strasser will das nicht, denn seine Partei unterstützt Barroso weiterhin. Das ist der falsche Weg, Koordinator hin oder her.


DiePresse.com: Sie wollen eine Ablöse von Barroso als Kommissionspräsident. Wie könnte man das in Ihren Augen realistisch erreichen, Barroso sitzt ja noch relativ fest im Sattel.

Lunacek: Das kann relativ leicht gehen: Nämlich wenn einerseits die Mehrheit im nächsten Europaparlament so aussieht, dass die Konservativen weniger Stimmen bekommen - und andererseits die Sozialdemokraten sich eindeutig entscheiden, was sie wollen. Wir Grünen haben zu Beginn unseres gemeinsamen Wahlkampfes Ende März in Brüssel einen gemeinsamen Antrag unter dem Motto "Stoppt Barroso" verabschiedet. Wir waren die Ersten, die das auch groß in die Öffentlichkeit gebracht haben. Wir betonen, Barroso hat versagt - nicht nur in der Bekämpfung der Finanzkrise, sondern auch in der Atompolitik. Er war der erste Kommissionspräsident, der pro Nuklearpolitik gesprochen hat. Das hat sich vorher keiner getraut, egal, welche Position er hatte. Es ist wichtig, dass die Sozialdemokratie sich entscheidet. Brown in Großbritannien, Socrates in Portugal und Zapatero in Spanien haben bisher gesagt, sie unterstützen Barroso. Vom Vorsitzenden der Europäischen Sozialdemokraten Paul Nyrup Rasmussen höre ich jetzt, er will jemand anderen. Swoboda sagt, er will auch jemand anderen als Barroso. Von Faymann habe ich bisher nichts gehört. Nur Spindelegger hat gesagt, es sei in der Koalition vereinbart, dass sie weiterhin Barroso unterstützen. Die Sozialdemokraten sind hier gefragt, sich zu entscheiden, was sie wollen. Wenn sie wie die Grünen ein sozialeres Europa wählen, dann müssen sie jemand anderen wählen, aber sicher nicht Barroso.


DiePresse.com: Wie soll die grüne Sozialunion aussehen? Was unterscheidet sie von der Sozialunion, die die SPÖ fordert?

Lunacek: Der Unterschied liegt darin, dass wir bereits konkrete Vorschläge darüber haben. Die EU soll Rahmen vorgeben. Mir geht es nicht darum, dass die sozialen Sicherheitssysteme auf nationaler Ebene abgebaut werden oder nach unten korrigiert werden - das sicher nicht. Wir brauchen einen Rahmen für Mindestlöhne auf europäischer Ebene, die sich nach den nationalen Durchschnittseinkommen richten. Ich fordere sechzig Prozent als untere Grenze. Wir brauchen einen Rahmen, dass jedes Land eine Grundsicherung hat für die Bürger, die eine solche benötigen. Und wir brauchen einen Rahmen dafür, dass die Nettoersatzraten für die Arbeitslose so hoch sind, dass die Menschen davon leben können - und nicht nur wie in Österreich 55 Prozent. In diese Richtung muss es gehen - wir haben da ganz konkrete Vorstellungen, und die kann man umsetzen. Auch die Bekämpfung der Einkommensschere zwischen Männern und Frauen ist etwas, was die EU zwar bisher im Rahmen der Lissabon-Strategie versucht hat - aber leider nicht genug. Verstöße in den Nationalstaaten werden bisher nicht mit Konsequenzen verknüpft - es gibt keine Sanktionen. Auch hier braucht es Maßnahmen wie ein Vertragsverletzungsverfahren sowie im Bedarfsfall finanzielle Konsequenzen.


DiePresse.com: Sie fordern eine "sinnvolle" Einwanderungspolitik. Wie soll diese aussehen?

Lunacek: Eine sinnvolle Einwanderungspolitik soll aussehen wie das Migrationsmodell, das die österreichischen Grünen entworfen haben, und das ich gemeinsam mit Menschenrechtssprecherin Alev Korun in die Arbeitsgruppe der Europäischen Grünen eingebracht habe. Wir lehnen uns an das Punktesystem an, das in Kanada sehr gut funktioniert. Dort werden für beide Seiten - sowohl Einwanderungswillige als auch Einwohner - klare Regeln aufgestellt. Wenn jemand sagt, er oder sie will einwandern, muss gefragt werden, was er kann, was er will, was für eine berufliche Ausbíldung er hat, was für Verwandte und Bekannte im Land, und welchen Bezug er zu diesem Land hat. Dann muss rational abgewogen werden, ob er den Einwanderungskriterien entspricht oder nicht. Was jetzt geschieht, ist reine emotionale Hetze. Uns wird vorgeworfen, wir wollen alle "drinnen" haben. Das stimmt einfach nicht! Wir wollen ein humanes Asylrecht - und gleichzeitig ein Migrationsmodell, bei dem beide Seiten berechnen können, was passieren wird.


DiePresse.com: Sie verlangen in ihrem Wahlprogramm, dass EU-Bürger die Löschung ihrer Daten beantragen können, also "Verfügungsgewalt" haben sollen. Soll dies auch im Fall von verurteilten Verbrechern gelten?

Lunacek: Das sind zwei Paar Schuhe. Hier geht es um Datenschutz und nicht ums Strafregister. Hier geht es etwa um Facebook und ähnliches, wo in den Geschäftsbindgungen keine Löschung der persönlichen Daten sind. Nicht gemeint sind strafgerichtliche Verfahren, sofern die Datenspeicherung dort verhältnismäßig ist und die Grundrechte wahrt.

DiePresse.com: Mit welchen Ergebnis rechnen sie realistischerweise am 7. Juni? Die Grünen liegen ja in den Ergebnissen regelmäßig unter den Prognosen.

Lunacek: Bei der letzten Europawahl war das anders, da hatten wir in den Umfragen 2004 immer um zwei Prozent weniger, als wir dann real hatten. Ich baue darauf, dass es mir, Eva Lichtenberger und vielen anderen noch gelingen wird, in diesen zwei Wochen die Menschen so zu mobilisieren und für unsere Anliegen zu begeistern, dass wir die zwei Mandate sicher schaffen werden.

(nk)

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