Vassilakou warnt vor "Panik" wegen Strache

(c) Valerie Voithofer (Voithofer Valerie)
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Die grüne Vizebürgermeisterin ist überzeugt, dass die SPÖ Nummer eins bleiben wird. Sie hätte sich von Deutschland und Österreich gewünscht, Grenzkontrollen zu unterlassen. Noch gebe es für Flüchtlinge Kapazitäten.

Die Presse: Das Thema, das alle beschäftigt, sind die Flüchtlinge. Sie sind nicht nur grüne Spitzenkandidatin, sondern auch Integrationssprecherin. Wie viele zusätzliche Flüchtlinge kann Wien aufnehmen?

Maria Vassilakou: So viele, wie wir können. Ich bin dagegen, lang im Voraus von Überforderung zu reden. Das zeugt von Kleingeist. Wir konnten in den Achtzigerjahren während der Polenkrise innerhalb weniger Monate 120.000 Polen aufnehmen und integrieren (in ganz Österreich; Anm.). Im Bosnienkrieg waren es innerhalb weniger Wochen 90.000 Menschen.


Das Beispiel München zeigt, wie schnell es zu Überforderung kommt, vor allem, wenn man allein gelassen wird. Insofern zeugt es nicht von Herzlosigkeit, sondern Vernunft, vorauszudenken.

Ein bisschen Planung schadet nie. Aber wir sind meilenweit von der Situation in München entfernt: NGOs, Bevölkerung und die Stadt Wien leisten Großartiges. Dass wir das mittelfristig nicht allein stemmen können und es eine gesamteuropäische Lösung braucht, ist klar.

Ist das nicht blauäugig? Sogar die Caritas sagt, dass Österreich bereits mehr Flüchtlinge hat, als hier bleiben können.

Im Moment sind wir mit Zahlen konfrontiert, die man nicht über Nacht einfach so bewältigen kann. Trotzdem wird in Wien keiner auf der Straße schlafen, wir öffnen laufend leer stehende Gebäude. Was ich aber gemeint habe: Wie viel schaffen wir in den nächsten Wochen? Und das kann man noch nicht sagen. Was ich aber sagen kann: Ich hoffe sehr, dass in Europa bald der Hausverstand einsetzt. Zäune halten Menschen nicht auf, die um ihr Leben rennen. Es gibt keine dichten Grenzen. Und: Wenn jemand unterwegs zu einem Ziel ist und nur eine Adresse von einem Bekannten oder Verwandten in der Tasche hat, dann soll man ihn dort ankommen lassen. Dort hat er jemanden, der sich um ihn kümmert, und das bedeutet letztlich schnellere Integration und spart dem Staat nebenbei auch Geld.

Das heißt, Sie sind gegen den Plan, Flüchtlinge nach Quoten auf die EU-Länder aufzuteilen?

Nein. Doch viele haben ein konkretes Ziel, und diese soll man ankommen lassen.

Ist das nicht ungerecht, dass jemand in sein Wunschland darf, weil er eine Cousine in Hamburg hat, während ein anderer zum Beispiel in Rumänien landet?

Was habe ich davon, wenn ich jemanden in ein Lager pferche, wenn anderswo jemand auf ihn wartet?


Weil Sie das Wort Lager erwähnen: Der Bundeskanzler hat gemeint, die Zustände in Ungarn erinnerten ihn an die dunkelste Zeit des Kontinents – gemeint ist die NS-Zeit. Sehen Sie das auch so?

Ich finde die Aufregung unfair. Dauernd kritisiert man, dass er keine klaren Worte findet, dann sagt er das geradeheraus, und es passt auch keinem. Auch ich muss sagen: Solche Vorgänge wie in Ungarn – dass man Menschen täuscht, Züge einfach umleitet, die Flüchtlinge aus den Abteilen prügelt – so etwas hat man zuletzt im Dritten Reich gesehen.

Faymann hat also recht?

Es ist nicht zulässig, irgendetwas mit dem Holocaust zu vergleichen. Diese Gräueltat war in der Menschheitsgeschichte einzigartig. Trotzdem, finde ich, kann man einzelne Vorgänge mit der Methodik der NS-Zeit vergleichen.


Sie kritisieren auch die Entscheidung Deutschlands, die Grenzen zu kontrollieren. Was hätte Deutschland machen sollen?

Die Entscheidung kam zu früh. Deutschland ist ein großes, reiches Land. Es hätte den anderen EU-Ländern länger Vorbild sein und so für eine gemeinsame Lösung Überzeugungsarbeit leisten können.

Und was ist mit Österreichs Reaktion: ebenfalls mehr Kontrollen?

Ich hätte das noch nicht gemacht - auch wenn ich weiß, dass diese Aussage im Wahlkampf riskant ist.


Bedeutet das nicht: Grenzen auf?

Ich habe nicht gesagt, dass ich für „Grenzen auf“ bin. Aber die letzten Tage haben tausenden Menschen, die unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten wurden, die Möglichkeit auf Jacken, Schuhe und Decken gegeben. Daher plädiere ich dafür, diese Möglichkeit nicht jetzt abzudrehen. Dass das nicht immer so weitergehen kann, ist klar.


Sie sprechen mit viel Leidenschaft über das Asylthema. Kommt das nicht spät? Michael Häupl hat bei einer SPÖ-Versammlung den Grünen „vornehme Zurückhaltung“ vorgeworfen.

Auf das, was der Bürgermeister sagt, um seine Funktionäre einzupeitschen, muss ich nicht eingehen, oder? Ich finde es schade, dass er das nötig hat. Zumal ich selbst eben aus diesem Grund bei den Grünen gelandet bin: weil sie eine klare Haltung in Menschenrechtsfragen haben. Zu fragen: Und wo sind die Grünen? Das ist absurd.

Aber wenn man sich Aussendungen der Grünen seit 2014 ansieht, fragt man sich das schon. Jene zum Asyl kann man an einer Hand abzählen. Zur Bildung, für die Sie ressortmäßig auch nicht zuständig sind, gibt es viele.

Engagement lässt sich nicht an Pressemeldungen messen. Ich brenne für das Thema und kann nicht anders: Wenn ein Mensch so wie ich vor bald 30 Jahren mit einem kleinen Koffer in der Hand auf dem Südbahnhof angekommen ist, in einer fremden Stadt, voller Angst, nur mit dem Wunsch, ein neues Zuhause und den eigenen Weg zu finden, prägt das einen für immer. Und das ist nicht im Mindesten mit dem vergleichbar, was Flüchtlinge gerade durchmachen.


Bürgermeister Häupl sagt, es wäre die SPÖ-Idee gewesen, unbegleitete Minderjährige aus Traiskirchen nach Wien zu holen, Sie sagen, es war Ihre. Können Sie den Widerspruch aufklären?

Das sind die stupiden Matches eines Wahlkampfs. Das ist peinlich. Ich freue mich, wenn der Bürgermeister in den vergangenen Wochen nicht nur zu den richtigen Worten, sondern auch Taten gefunden hat.


Wie groß ist die Disharmonie zwischen Ihnen beiden?

Man geht nicht sich umarmend in den Wahlkampf. Ich habe aber keine Lust, dass Menschen, die den grünen Weg unterstützt haben, aus Panik, dass womöglich die FPÖ auf Platz eins kommen könnte, jetzt nicht Grün wählen.

Halten Sie es für realistisch, dass die FPÖ stärkste Partei wird?

Nein. Ich warne davor, Umfragen auf den Leim zu gehen. Das ist das dritte Duell Häupl gegen Strache, jedes Mal geht es gleich aus. Ich warne auch davor zu glauben, die SPÖ sei eine sichere Bank. Es gibt nennenswert starke Kräfte in der SPÖ, die sich eine Zusammenarbeit mit der FPÖ vorstellen können.


Kann es sein, dass die Grünen bestimmte Gruppen nicht erreichen, weil sie sich nicht besonders bemühen? Der 20., 21., 22. Bezirk scheinen nicht Fokus der Verkehrspolitik gewesen zu sein.

Die 365-Euro-Jahreskarte hat breiteste Teile angesprochen. Bildung, Wohnen sind Thema der ganzen Stadt, oder?

Aber in den Bezirken außerhalb des Gürtels ist im öffentlichen Verkehr noch viel Luft nach oben.

Die Wiener Linien ressortieren nicht bei der Verkehrsstadträtin. Es wäre mein Wunsch, sofern wir in der Regierung sind, diese seltsame Situation zur Sprache zu bringen.

Sie wollen das zusammenführen?

Selbstverständlich gehören die Wiener Linien ins Verkehrsressort, um Verkehrspolitik aus einem Guss zu machen. In Randlagen haben wir Intervalle bei der S-Bahn von einer halben Stunde.


Eva Glawischnig hat bei grünen Themen gemeint, das sind keine Bobo-Themen. Was ist los mit den Grünen, wenn sie ihr treuesten Wähler nicht mehr mögen?

Der Ausdruck Bobo ist eine Wählerbeschimpfung und meint abschätzig, grüne Wähler seien reich und würden in einer Dachterrassenwohnungen ohne Sorgen leben. Das ist Unfug.

Ihr Werbeplakat mit dem kussmundbedeckten Jungabgeordneten Schmid und dem Slogan „Öffi für alles“ wurde von der Werbewatchgroup als sexistisch erklärt. Hängt man das jetzt ab?

Nein. Ich finde es schade, ich habe das nicht erwartet. Wir werden den Input künftig berücksichtigen.


Hätte man so auch mit einer Frau werben können?

In Oberösterreich hat man ein sich innig küssendes Pärchen plakatiert, das sagt alles.


Man hat nach dem Wahlrechtsstreit den Eindruck, dass die Grünen so unbedingt regieren wollen, dass sie sich fast alles gefallen lassen. Wie wollen Sie da eine Koalition hart verhandeln?

Herr Juraczka (Wiens ÖVP-Chef, Anm.) ist der, der unbedingt regieren will. Aus bitterer Erfahrung wissen wir, wo Hebel für strukturelle Änderungen anzusetzen sind. Seien Sie sicher, wir werden sie ansetzen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2015)

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