Leo Nucci - der Barbier von Posa

Kammersänger Leo Nucci
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Der italienische Bariton stellte in einem fulminanten Belcanto-Abend in der Wiener Staatsoper seine ganze Wandlungsfähigkeit unter Beweis - und ungebrochene Stimmkraft mit 73 Jahren.

Es gibt Gesangsstars, die drängen so unerschütterlich wie unerbittlich in Richtung 50-jähriges Bühnenjubiläum, obwohl sie knapp davor sind, ihr Denkmal, das sie sich in Jahrzehnten mühsam Ton für Ton, Koloratur für Koloratur errichtet haben, wieder zu schleifen. Es gibt auch Sänger, die sich plötzlich als Rigoletto fühlen, obwohl sie ein erfülltes und erfolgreiches Tenorleben lang den Herzog gesungen haben. Und es gibt Leo Nucci. Mit 73, in einem Alter also, wo manch andere an den wohlverdienten Bühnenruhestand denken, denken müssen, denken sollten, gab er am Dienstag in der Wiener Staatsoper einen fulminanten Belcanto-Arienabend, gespickt mit einigen Repertoire-Raritäten, der auch für einen 15 Jahre jüngeren Sänger eine Glanzleistung gewesen wäre.

Die Gesetze des Alterns, sie scheinen für diesen Bariton schlicht nicht zu gelten, sieht man einmal vom schmalen Grat zwischen "gerade noch Stilmittel" und "schon physisch bedingte Notwendigkeit" ab, an dem Nucci seit einiger Zeit beim Anschleifen der Töne von unten entlangsingt. Die Kraft dieser Stimme ist ungebrochen, ihre Ausdrucksintensität ebenso, und Nucci weiß sie mit all seiner Erfahrung auch höchst öknomisch einzusetzen. Wenn es in entscheidenden Moment gilt, noch einen letzten Gang höher zu schalten, noch einmal an Volumen und Intensität zuzusetzen, dann stehen ihm diese Reserven auch zu Gebote, weil er rechtzeitig drauf schaut, dass er's hat, wenn er's braucht. Allerdings hat man nie den Eindruck, dass Nucci irgendwann an diesem Abend auf Sparflamme schalten würde und sich seine strahlenden Spitzen- und Schlusstöne (von denen ihm einfach jeder gelingt) sozusagen vom Mund absparte. Umgekehrt hat man aber auch nicht an den Eindruck, als würde er schon am stimmlichen Limit kratzen.

Das Gesicht ist Kostüm genug

Arie um Arie serviert er mit einer Mühelosigkeit, die immer mehr Staunen macht, je länger der Abend dauert. Dazu kommt Nuccis notorische Einheit von Stimme und Darstellung. Er braucht weder Henkerbeil noch Purpurmantel, sein Gesicht ist Kostüm genug, völlig ausreichend als Requisiten seine Hände.

Das wird sdchon in "Qui mi accolse" aus Bellinis "Beatrice di Tenda" deutlich, ein früher erster Höhepunkt des ersten Teils. Wie dieses Scheusal von einem Filippo alle Gewissensbisse vor dem von ihm orchestrierten Todesurteil für seine Geliebte in sich abtötet und dafür "die Verurteilung des Himmels" in Kauf nimmt, Nucci zeichnet es nicht nur mit allen ihm zu Gebote stehenden Stimmschattierungen nach, sondern beglaubigt es auch mit einem getrieben-rasenden Blick, bei dem eine Gänsehaut ein schamloses Understatement wäre.

In komprimiertester Form wird seine Darstellungskunst bei Macbeths Sterbeszene deutlich. Ansatzlos zieht einen Nucci in die letzten Sekunden dieses blutrünstigen Königsmörders und Mörderkönigs, und ehe man sich`s versieht, ist alles schon wieder vorbei - aber erlebt hat man die Essenz einer ganzen Oper.

Erst gemordet, dann der Mörder

Blitzschnell wechselt Nucci auch die Charaktere, eben ist er noch - wir sind bereits bei den Zugaben - ein elastischer, humorsprühender Rossini-Barbier (mit genau jener Leichtigkeit, die so schwer zu erreichen ist), da gibt er schon tief berührend den sterbenen Marquis von Posa aus Verdis "Don Carlo", nur um wenige Minuten später als "Maskenball"-Renato derjenige zu sein, der selber tötet. Wer als vierte und letzte Zugabe auf die "Cortigiani" aus Rigoletto und also DAS Glanzstück Nuccis wettete, hat seinen Einsatz verloren, der Bariton verabschiedete sich von seinem dankbaren Publikum, das es längst nicht mehr auf den Sitzen hielt, mit "Nemico della patria" aus Umberto Giordanos "Andrea Chenier".

Vor zwei Jahren bereits gab Nucci im Rahmen der Solistenkonzerte der Staatsoper einen reinen Verdi-Arienabend, den man allerdings mit der Gewissheit verließ: Dieser Sänger hat etwas Besseres verdient. Das ihn begleitende Kammerensemble nämlich spielte nämlich nicht nur ziemlich unsauber, sondern auch reichlich uninspiriert, was neben dieser vokalen Inspirationsquelle auch eine Kunst ist. Am Dienstag bekam Nucci tatsächlich etwas Besseres, ein weitgehend aus Philharmonikern bestehendes Sextett (Streichquartett plus Klavier plus Harfe), unter Führung des Erz-Musikanten Günter Seifert. Dass die Streicher an einigen Stellen intonationsmäßig ordentlich daneben lagen, soll nicht verschwiegen werden. Doch das wurde mehr als aufgewogen durch das ungemein subtile Zusammenspiel: Mit einer perfekt abgestimmten Balance umgarnten sie den Solisten in einem wechselseitigen Geben und Nehmen, und stellten ganz nebenbei unter Beweis, wie gut sich doch italienischer Schmelz und wienerisches Schmalz vertragen.

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