Er war einmal ein relativ kleines Problem namens Griechenland

Die Flüchtlingstragödie mit ihren unabsehbaren sozialen und ökonomischen Auswirkungen lässt uns mit großer Gelassenheit nach Griechenland blicken.

Wer würde heute angesichts der dramatischen Bilder, die täglich im Fernsehen und Internet zu sehen sind, von einer griechischen Tragödie, von einem Drama sprechen? Die Ereignisse der vergangenen Wochen haben die Verhältnisse ordentlich relativiert. Mittlerweile nimmt man hierzulande und in weiten Teilen Europas gar nicht mehr wahr, dass am Sonntag in Griechenland gewählt wird. Dass ein gewisser Alexis Tsipras, der die EU-Kollegen monatelang genarrt hat, der drauf und dran war, den Euro ins Wanken zu bringen, knapp davor steht, wieder einen Wahlsieg zu erringen. Dies scheint uns mittlerweile relativ egal zu sein. Es gibt schließlich größere Probleme für Europa.

Tatsächlich scheint aus heutiger Sicht die ganze Griechenland-Hysterie reichlich übertrieben. Da überschlugen sich Finanzministergipfel und Krisensitzungen quasi im Minutentakt. Da wurde nächtelang gerungen und verhandelt. Kurz: Da stand die politische Elite Europas kopf. Und weshalb? Wegen eines Landes, das gerade einmal zwei Prozent der Wirtschaftsleistung der EU erbringt. Wegen eines Landes, das gerade einmal 2,2 Prozent der EU-Bevölkerung stellt. Zynisch gesagt: wegen eines wirtschaftlichen Wurmfortsatzes namens Griechenland.

Tatsächlich war Griechenland allein nie eine Bedrohung für den Euro oder die Stabilität der Eurozone. Das Wirtschaftswachstum der EU ist in einem halbwegs normalen Jahr höher als das griechische Bruttoinlandsprodukt. Das Problem war vielmehr die Angst vor einer Blinddarmentzündung. Die sogenannte Ansteckungsgefahr für Länder wie Spanien, Portugal oder Italien wurde behandelt. Zuletzt mit einer 86-Milliarden-Euro-Spritze. Schwere Medikamente sind nun einmal teuer. Bleibt am Ende nur die Frage, wem diese Medikamente tatsächlich helfen. Und viele Ökonomen – allen voran der deutsche Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn – bezweifeln, dass das Griechenland-Hilfspaket gut für die griechische Wirtschaft und die griechische Bevölkerung ist. Es handelt sich schließlich um Rettungsringe aus Gold.

Alexis Tsipras, der ehemalige und vermutlich kommende linkspopulistische Regierungschef, landete mit seinem Land in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Er soll jetzt die strengen Privatisierungs- und Sparauflagen der Geberländer umsetzen. Jene Auflagen also, die er bekämpft, denen er sogar im Rahmen eines Referendums eine Abfuhr erteilt hat.

All diese Dinge haben Beobachter und politisch Involvierte noch vor wenigen Monaten zur Weißglut gebracht. All diese Affronts von Tsipras und Konsorten wurden zu Recht vehement kritisiert. Heute blicken wir mit großer Gelassenheit auf ein Problem, bei dem es ja im Grund „nur“ um Geld gegangen ist, geht und gehen wird.

Ja, für uns „Geber“ geht es bei Griechenland tatsächlich nur um Geld. Allerdings um „unser“ Geld. Privatisierungen und Sparpläne allein machen ein Land nicht wettbewerbsfähig, lösen keine strukturellen Probleme wie Korruption und Vetternwirtschaft. Und wenn in jüngster Zeit zu lesen war, dass die Arbeitslosigkeit auf 25 Prozent gesunken ist, dann ist das kein Grund für Optimismus. Jene, die ausgewandert sind, fallen schlicht aus der Statistik heraus.


Griechenland wird am Sonntag wählen. Am Gesundheitszustand des Landes wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Die chronische Entzündung bleibt. Die teuren Medikamente auch. Wir haben uns – auch aufgrund drängender Probleme – damit abgefunden, dass es sich bei Griechenland um eine Dauersubvention handelt. Irgendwann werden wir uns nicht mehr darüber empören. So, wie sich längst keiner mehr über jährlich 60 Milliarden Euro Agrarsubventionen aufregt.

Griechenland wird ein wirtschaftspolitischer Rundungsfehler bleiben. Viele fürchten, dass die EU mit der „Hilfe“ für Griechenland den entscheidenden Schritt hin zur Transferunion gegangen ist. Auch diese Befürchtung scheint Makulatur zu sein. Längst ist klar, dass die größte soziale und wirtschaftliche Herausforderung für Europa außerhalb Europas liegt.

E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2015)

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